Panta rhei
[überarbeitet]
Die berühmte philosophische Kurzformel panta rhei stammt aus dem Altgriechischen (πάντα ῥεῖ) und bedeutet übersetzt soviel wie „alles fließt„. Sie beruht auf den Lehren des vorsokratischen Philosophen Heraklit von Ephesos (ca. 520 v. Chr. — † ca. 460 v. Chr.), welche später von Platon aufgegriffen und konkretisiert wurden. Heraklit war revolutionär und seiner Zeit weit voraus, denn seine Überlegungen tangierten unter anderem aktuelle Fragestellungen der Astrophysik sowie der in den Kinderschuhen befindlichen Quantenphysik. Die Struktur des Kosmos wurde demnach nicht wie bisher als statisches und unveränderliches Sein aufgefasst, sondern als etwas, das sich unablässig in Bewegung befindet und wird.
Um dies zu veranschaulichen und auch argumentativ zu bekräftigen, bediente sich Heraklit der metaphorischen Darstellung eines Flusses: ποταμοῖσι τοῖσιν αὐτοῖσιν ἐμβαίνουσιν ἕτερα καὶ ἕτερα ὕδατα ἐπιρρεῖ; zu Deutsch: „Den in dieselben Flüsse Hineinsteigenden strömen/fließen andere und andere Wasser zu.“
Nach heutigen Erkenntnissen wissen wir, dass nichts in unserer Realität statisch stillsteht. Alles befindet sich in Bewegung, sämtliche Galaxien, Planeten, Atome, Elementarteilchen und sogar unsere Raumzeit selbst. Wer weiß, möglicherweise befindet sich der Kosmos ebenfalls in einem Kreislauf ständigen Kommens und Gehens. Gleiches gilt freilich auch für alles Leben auf unserer Erde, einschließlich uns Menschen. Der menschliche Körper ist im Grunde ein beweiskräftiges Dokument dieses steten Wandels. Die Wasserstoffatome beispielsweise, aus denen sich das Wasser in unseren Körpern zusammensetzt, existierten bereits bei der Geburt des Kosmos. Mir persönlich wird jedenfalls schwindelig bei der Vorstellung, dass mindestens die Hälfte meines Körpers 13,8 Mrd. Jahre alt ist. Uff…eigentlich will ich gar nicht so genau wissen, wo mein Wasser bisher schon überall war…. :–)
Aber vor dem Hintergrund, dass alles in Bewegung und im Wandel ist, ist es nur logisch und natürlich, dass auch wir Menschen uns dieser kosmischen Ordnung fügen und den natürlichen Drang hegen, uns zu bewegen. Kinder machen es intuitiv, sind also ständig aktiv, können kaum still halten, rennen, hüpfen und drehen sich im Kreis. Unbestreitbar gehen Bewegung und Entwicklung Hand in Hand und bedingen einander. Bei vielen Erwachsenen gerät dieses natürliche Bedürfnis durch die Anforderungen des Alltags leider oft in den Hintergrund. Aus einstiger Selbstverständlichkeit und Spaß wird irgendwann Pflicht und schlussendlich gibt es hundert Vorwände, dem Bewegungsdrang zu widerstehen, ihn auf morgen zu verschieben oder ihn erst gar nicht zuzulassen. Der innere Schweinehund wird mit den Jahren immer hartnäckiger und spätestens wenn die ersten Schmerzen Einzug finden, ist er praktisch kaum mehr zu überwinden.
Auch in meinem Leben haben Bewegung und Entwicklung eine wichtige wie auch zugegeben ambivalente Bedeutung. Nicht immer konnte ich so aktiv sein wie ich wollte und nicht immer wollte ich so wie ich theoretisch konnte. Im Folgenden möchte ich gerne meine Erfahrungen mit euch teilen und einen chronologischen Überblick über die Bewegungssysteme und meine Tänze bieten, die ich erlernt habe bzw. gegenwärtig noch erlerne:
Ein Leben in Bewegung
- In meiner Kindheit fuhr meine Familie immer mit dem Auto nach Griechenland in den Sommerurlaub. Von Italien aus nahmen wir schließlich die Fähre. Die Schiffe waren damals etwas langsamer und so dauerte die Überfahrt über das Ionische Meer von Ancona nach Patras zwei Nächte. Für mich immer ein großes Abenteuer! Es war mir egal, wann wir in Griechenland eintrafen — der Weg war für mich das Ziel. Mich während der Überfahrt wie die anderen Gäste auf dem Deck zu sonnen, war allerdings nicht so mein Fall. Lieber erkundete ich das Schiff, seine Decks und ermittelte verschiedene Wege, um von A nach B zu gelangen. Mal schlich ich mich heimlich an den Bug, mal auf das Parkdeck (gefährlich, nicht nachmachen!) und mal verzockte ich mein Taschengeld im Kasino. Ich schlüpfte in sämtliche nicht gesicherten Bereiche. Im Alter von 8 Jahren weckte die Schiffsdiskothek urplötzlich meine Neugier. Diese war aus heutige Sicht winzig und eher bescheiden ausgestattet, aber damals erschien sie mir wir ein riesiger Tanzpalast. Dieses glänzende Parkett war ein Ort voller Möglichkeiten! Zu meinen Pop-Idolen fing ich dann einfach eines Abends an zu tanzen. Da ich ein Kind war und in der Regel früh ins Bett beordert wurde, wartete ich nicht ab, bis die Tanzfläche voll war, sondern war meist die Erste am Start. Meine Hemmschwellen waren noch nicht sehr entwickelt. So war es mir ziemlich egal, ob andere Gäste mir zuschauten oder was sie von meinem Tanzversuchen hielten. Ich tanzte einfach…. In meiner Wahrnehmung fühlten sich meine Moves koordiniert, kreativ und ästhetisch an, während ich die Musik „sichtbar“ machte. In Wirklichkeit sah das Ganze vermutlich stark ausbaufähig aus. :–D
- Die folgenden Jahre begnügte ich mich damit, in der Schiffsdisco, im Wohnzimmer oder auf Kindergeburtstagen zu tanzen. Im Alter von 14 Jahren wurde es dann Zeit, meinen ersten Tanzkurs zu besuchen. Das gehörte sich damals so. Nach dem Einsteigerkurs bei Hammersdorf in Weinheim, der mit einem Ball abschloss, war jedoch keineswegs Ende Gelände. Mein Lieblingstanzfilm „Dirty Dancing“ tat sein Übriges. Es hatte mich gepackt und so fuhr ich mit dem Welttanzprogramm fort und erwarb sämtliche Tanzabzeichen des ADTV mit Auszeichnung.
- Parallel dazu trainierte ich einige Jahre lang Lateinamerikanische Tänze in der Tanzsportabteilung des TSG Weinheim und nahm auch an diversen Turnieren teil. Da mir aufgrund wirtschaftlicher Faktoren eine besondere Förderung verwehrt blieb, ich mir weder Einzeltraining noch aufwändige Kostüme leisten konnte, feierte ich im Turniertanz keine großen Erfolge. Dieses Nachteils war ich mir damals jedoch nicht bewusst. Zwar trainierte ich ehrgeizig, jedoch ging es mir dabei mehr um das Tanzen an sich sowie um das familiäre Miteinander im Gruppentraining als um Urkunden oder Platzierungen.
- Mit den steigenden Anforderungen in der gymnasialen Oberstufe und den Vorbereitungen auf das Abitur rückte der Lateintanz stark in den Hintergrund. Dieses Kapitel legte ich schließlich ad acta. Kurz keimte der heimliche Wunsch auf, Tango Argentino zu lernen. Jedoch gab es damals kein adäquates Unterrichtsangebot in meiner Gegend bzw. generell in Deutschland. Nach dem Abitur nahm ich schließlich mein Studium auf und hatte insofern keine Zeit um regelmäßig in einer Tanzschule oder in einem Verein zu tanzen.
- Mit Mitte zwanzig begann ich unter einer Erkrankung zu leiden, die mitunter meinen Bewegungsapparat betraf, trotz Ärztemarathon und diverser Therapieversuche bis heute nicht geheilt werden konnte. Nicht selten benötigte ich morgens eine Ewigkeit, um aus dem Bett zu kommen und mich aufrecht hinzusetzen. Dies gelang mir nur unter erheblichen Schmerzen, die mich neben Gleichgewichtsstörungen den ganzen Tag plagten. Manchmal wollte ich am liebsten aufgeben und einfach nur liegen bleiben. Ich sah meiner Zukunft wenig optimistisch entgegen. Nachdem Schulmedizin, Physiotherapie und Pharmaindustrie mir nicht ausreichend zu helfen vermochten und ich mich vielmehr beschäftigungstherapiert als therapiert fühlte, stand ich vor der Entscheidung, mich komplett aufzugeben oder für meine Gesundheit und mein Leben zu kämpfen. Ich entschied mich für letzteres und begann Schritt für Schritt ein Schmerzmanagement in Form eines eigenen Bewegungs- und Gymnastikprogramms zu entwickeln, das zu mir passte und mir den Alltag zumindest etwas erleichterte. Dabei drohte ich ständig, von einer Seite des Pferdes herunterzufallen: Trainierte ich zuviel, wurden die Schmerzen intensiver. Trainierte ich zu wenig, passierte dasselbe. Neben meinen täglichen Übungen, die viel Zeit und Energie in Anspruch nahmen, betrieb ich mehrmals wöchentlich Nordic Walking. Das schonende Laufen half mir sehr dabei, den Kopf frei zu kriegen und Schritt für Schritt Lebensqualität zurückzuerkämpfen. An Tanzen war damals für mich bis auf Weiteres nicht zu denken. Erst über ein Jahrzehnt nach meiner Erkrankung sollte dies wieder an Aktualität in meinem Leben gewinnen.
- 2019 kehrte der alte Traum von Tango Argentino einfach so an einem Frühsommerabend zu mir zurück. Wie eine Art Boomerang, den ich vor langer Zeit ins Universum geschleudert hatte. Also fasste ich mir ein Herz, recherchierte im Internet nach Schulen und Unterrichtsmöglichkeiten und zu meiner Überraschung florierte der Tango unlängst in meiner Gegend. Wenige Wochen später besuchte ich schon meinen ersten Tangokurs bei Jaroslav Cesnik & Isabella Bayer vom Tango Flores in Mannheim. Der Grundstein war schnell gelegt. Anschließend erforschte ich mangels solider Tanzpartnerschaft und aufgrund der Pandemie den Tango weitgehend autodidaktisch. Weitere Inspiration bekam ich später durch kurzweilige Unterrichtsbesuche und Workshops bei Konstantinos Minakakis, Susanne und Hasso Schubert, Joe Corbata & Lucila Cionci, Ariadna Naveira & Fernando Sanchez, Roxana Suarez & Sebastián Achaval, Cintia & Lucas Panero, Horacio Godoy sowie Naima Gerasopoulou & Lucas Gauto. Von Anfang an faszinierte mich das Tangotanzen in besonderer Weise. Als vielseitiger Improvisationstanz stellte er im Gegensatz zu der Choreographiearbeit, die ich früher aus dem Lateintanz gewohnt war, sowohl technisch als auch menschlich eine besondere Herausforderung für mich dar. Argentinischer Tango ist für mich die ungeschlagene Königsdisziplin unter den Paartänzen. Seit Anfang 2024 teile ich meine Erfahrungen und meine Freude, indem ich interessierte Angehörige und Freunde unterrichte.
- Seit 2023 lerne ich parallel zu meiner Entwicklung im Tango traditionellen Ägyptischen Bauchtanz bei Laila Naima, erzielte dort schnelle Lernerfolge und tanzte als Mitglied ihres Ensembles bei Showauftritten mit. Daneben wurde mir die Ehre zuteil, bei dem Kairoer Starchoreograph Prof. Dr. Hassan Khalil einen Intensivworkshop zu besuchen. Die dort erlernte Gruppenchoreographie durfte ich nach intensiver Aufarbeitung auf zwei Haflas in einer kleinen Gruppe darbieten. Der Bauchtanz erweiterte mein Körpergefühl: biomechanisch lehrte mich das Bauchtanztraining Körperpartien anzusteuern, die in anderen Tanzspaten bisher zu kurz kamen oder komplett unberücksichtigt blieben. Eine besondere Vorliebe habe ich zudem für den Stocktanz Saidi entwickelt, da dieser temperamentvoll ist und besondere koordinative Fertigkeiten abverlangt.
- Seit kurzem lerne ich mit Begeisterung Taijiquan, sowie erste Techniken in Schwertkampfchoreographie unter jeweils kompetentester Anleitung.
- Mein Motto bei allem, was ich mir als sportliche Herausforderung vornehme, ist im Grunde simpel: Wenn nicht wagt, der nicht gewinnt.
Manche meiner Aktivitäten betreibe ich mit konkreten Absichten und Zielsetzungen. Beim Tanzen geht es mir etwa primär um Freude, Entspannung und Gemeinschaftsgefühl. Andere Aktivitäten nahm ich wiederum auf und verfolge sie, ohne anfangs selbst genau zu wissen, was mich daran genau fasziniert oder wohin sie mich führen. Da lasse ich mich einfach von meiner Intuition leiten. Das bedeutet keineswegs, dass ich die Dinge, die anpacke, nicht ernstnehme. Ganz im Gegenteil. Ich mache alles mit Leidenschaft und lege großen Wert auf Sorgfalt. Wenn ich mich im Training überfordert fühle, konzentriere ich mich umso mehr, um die gefragten Techniken und Bewegungsmuster so korrekt wie möglich auszuführen. Das ist meine Art „Danke“ zu sagen. Für mich ist es nämlich ein großes Wunder und auch Luxus, all diese Aktivitäten überhaupt betreiben zu können und mein Dasein nicht im Bett zu fristen. Möglicherweise möchte ich ein Stück weit die Zeit aufholen, die ich durch meine Krankheit verloren habe. Zudem weigere ich mich, die Begrenztheit meines Körpers zu akzeptieren, auch wenn mir diese – zumindest rein logisch – natürlich bewusst ist. Die Gesellschaft möchte einem leider nur allzu gerne vermitteln, was man zu leisten imstande ist und was nicht. Oft sagt sie einem, dass man für bestimmte Aktivitäten bereits zu alt ist oder sie nur Männern oder Frauen vorbehalten sei. Von diesen Kategorien halte ich nicht sehr viel. Ich ziehe es vor, meine Möglichkeiten und Grenzen selbst auszuloten. Mein Körper ist im Grunde nur geliehen. Kommt alles in ihm zum Stillstand, gebe ich ihn wieder zurück.
Niki Xenodimitropoulou
Weinheim, den 26.05.2024