
…ein Wechselbad der Gefühle! Manchmal fühlt man sich …akzeptiert…gewertschätzt… geborgen…elektrisiert…begehrt…geliebt…vollständig…und manchmal sogar zutiefst erfüllt.
Aber nicht alle Emotionen, die der Tango zu wecken vermag, sind so süß wie das russisch’ Brot auf dem obigen Foto. Mir kam nebenbei bemerkt erst spät die Idee, diese Wörter zu legen. Zu diesem Zeitpunkt waren alle „T“s irgendwie schon vertilgt und so musste ich eben mit „I“s improvisieren. ^^
Tänzer, die schon eine zeitlang aktiv sind, wissen genau wovon ich spreche: die Schattenseite. Es gibt Phasen und Momente im Tango, da fühlt man sich mitunter abgelehnt…hängen gelassen…einsam…fehl am Platz…frustriert… unzulänglich… desillusioniert…frustriert…gedemütigt….selbstmitleidig und und und.
Früher habe ich mich gegen diese Facetten innerlich gewehrt. „Tango ist doch dazu da, damit ich mich gut fühle!“, dachte ich mir. Anderenfalls würde er doch nicht viel Sinn machen. Mittlerweile sehe ich das etwas anders. Es gibt im Grunde kein „falsches“ Gefühl im Tango. Fühle ich mich gut, ist es richtig. Fühle ich mich mal schlecht, ist das ebenfalls „richtig“, denn auch negative Gefühle haben ihren Sinn und ihre Daseinsberechtigung.
Im Tango wird man unweigerlich mit sich selbst konfrontiert und zwar fundamentaler und intensiver als man es am Anfang vermutet. Wer beispielsweise den emotionalen Horizont eines Pantoffeltierchens hat, kann das natürlich nicht unterschreiben. So jemand kann zwar dennoch bis zu einem gewissen Grad technisch Tango erlernen, wird bei der Musik und bei den Bewegungen allerdings nicht sehr viel empfinden, also weder besondere Höhenflüge noch große Dramata erleben. Wer in ausgewogener Weise hingegen über das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle verfügt, der erlebt sie auch im Tango. Im Unterschied zum sonstigen Alltagsleben kommen und gehen sie manchmal schneller und sind oft auch intensiver, ähnlich wie kleine Wirbelstürme. Genau erklären kann ich mir dieses Phänomen noch nicht. Eventuell liegt das daran, dass der Tango in ganz ursprünglichen und „primitiven“ Bedürfnissen der Praktizierenden rührt. Zudem sind die Koalitionen im Tango oftmals kurz- und schnelllebig. Man begeistert sich schnell und entgeistert sich nicht selten noch schneller für einander. Trost über Enttäuschungen findet man rasch in den Armen eines Anderen. Alles fließt (altgriech. πάντα ῥεῖ). Wer stehen bleibt und zurückblickt, hat die Spielregeln nicht verstanden und hat schon verloren.
Vor einigen Tagen kam ein neues Gefühl dazu, das ich zuvor im Tango noch nicht kannte: Ich besuchte eine Milonga und war gerade dabei, eine trockene Blätterteigstange herunterzuwürgen, die auf der Theke besser aussah als sie schmeckte. Ein junger Mann betrat den Raum, zahlte Eintritt, ging anschließend an mir vorbei und sein Blick streifte mich dabei. Er hatte ein außergewöhnliches Gesicht, nicht unbedingt männlich, sondern vielmehr hübsch wie ein Engel, war insgesamt sehr gepflegt und außerordentlich elegant gekleidet. „So sollte man(n) ruhig öfter auf Milongas aufschlagen.“ dachte ich.
Sein Erscheinungsbild war eher untypisch für einen Mann seines Alters. Nach zwei Tandas, die wir jeweils mit anderen Partnern tanzten, war es dann soweit. Er forderte mich per Cabeceo auf. Ich folgte ihm auf die Tanzfläche. Kein Wort von ihm. Kein Hallo. Nichts. Kein Problem für mich. Schließlich war ich zum tanzen da und nicht um zu quatschen. Außerdem ist die Abrazo generell ein wunderbarer erster Kontakt zwischen zwei Fremden.
Er nahm mich schon zu Beginn der Tanda sehr eng in seine Arme und schmiegte sein Gesicht an meines. Einem gepflegten, authentischen Mann lasse ich das durchgehen. Grundsätzlich bin ich jedoch der Ansicht, dass eine gute und ehrliche Umarmung ausreicht, um Zuneigung auszudrücken und Kontakt mit dem Gesicht nicht zusätzlich nötig ist bzw. in den meisten Fällen eine Intimität unnatürlich beschleunigt wird. Es gab bisher nur wenige Begegnung, bei denen ich von mir aus das Bedürfnis hatte, jemandem beim Tanzen so nahe zu kommen. Aber wie dem auch sei. Ich ließ ihn gewähren, um ihn nicht zu verunsichern und weil ich gespannt war, wohin uns die gemeinsame Reise führt.
Zu meiner Enttäuschung ging es bei dieser Begegnung jedoch nicht wirklich um uns und auch nicht um mich. Vielmehr schien sich der junge Mann auf der Tanzfläche zu promoten und das aus meiner Sicht nicht sehr überzeugend. Anfangs war ich mir nicht sicher und wollte da kein vorschnelles Urteil fällen. Also tanzte ich einfach weiter. Womöglich war er ja auch bloß etwas nervös und kompensierte das mit einem ostentativ selbstbewussten Auftreten. Wenn ich mich bei einem Tänzer wirklich wohlfühle, denke ich nicht oder zumindest nicht so viel. Der junge Tanguero war offenbar der Überzeugung, mithilfe seiner Atmung führen zu können, vergaß jedoch, seinen Körper dabei mitzunehmen. Im Grunde atmete er einfach nur zur Musik tief ein und aus und gefiel sich offenbar, sich beim Einatmen groß aufzubauen, ohne sich jedoch entschlossen fortzubewegen und hinreichend deutliche Impulse zu setzen. Gedanken lesen kann ich nicht, also versuchte ich, das Beste aus der Situation zu machen und mich zumindest in seiner Umarmung wohl zu fühlen. Da die Kommunikation nicht richtig funktionierte, waren auch tänzerisch keine Highlights zu erwarten. Erst nach dem zweiten Lied brach er übrigens sein Schweigen. Durch den starken osteuropäischen Akzent und die laute Geräuschkulisse verstand ich ihn jedoch kaum. Wie oft ich hier sei, wollte er mitunter erfahren. Mich am Ende der Tanda von ihm zu lösen, fiel mir nicht allzu schwer. Der Abschied war kurz und unsere Wege trennten sich auf der Tanzfläche. Ich bin da ehrlich gesagt etwas altmodisch und mag es eigentlich gern, wenn mein Tanzpartner mich wieder dorthin begleitet, wo er mich gefunden hat, oder es zumindest anbietet. Aber wo „Gentleman“ draufsteht, ist nicht unbedingt Gentleman drin.
Die Begegnung mit diesem Tänzer erwies sich jedenfalls als eine große Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität. Ich fühlte mich regelrecht ernüchtert….