This is Sparta!

Mit den Wahlen in Griechenland vom 25. Juni zogen erstmals die „Spartiaten“ („Σπαρτιάτες“) in das Parlament ein und zwar mit immerhin 4,64 %. Es handelt sich dabei um eine kleine und bis dato kaum beachtete Partei, die 2017 gegründet wurde und deren Gesinnung rechts außen verortet wird.

Viele Bürger in Sparta sind überrascht und empört, sehen den Namen ihrer geliebten Gemeinde angesichts ihrer historischen Bedeutung und kulturellen Wurzeln als instrumentalisiert. Auf die echten Spartiaten sind sie nämlich sehr stolz. Diese waren die Vollbürger des antikes Spartas und verfügten über eine beispiellose militärische Ausbildung.

Das Sparta-Institut hat sich nun eilig mit einem Schreiben an den zugleich wiedergewählten Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis gewand und fordert eindringlich eine Änderung der Gesetzgebung, die sich auf das Verbot der Verwendung des Namens oder des Symbols einer Partei oder eines Zusammenschlusses kooperierender Parteien oder eines Zusammenschlusses unabhängiger Kandidaten oder Einzelkandidaten bezieht, dergestalt, dass regionale Gemeinschaften, insbesondere solche, die historisch und international anerkannt sind, vor der Aneignung ihres Namens durch eine politische Vereinigung geschützt werden.

Oder einfach gesagt: die Partei soll sich einen anderen Namen suchen. Die Spartiaten gehören den Spartanern, ist man sich in Sparta einig. (Und das jetzt dreimal schnell hintereinander sagen! :–))

Leider hat man zu spät Notiz von den selbsternannten Spartiaten genommen bzw. sie bis heute wohl nicht ernst genommen. Ein großer Fehler. Nun müssen die Einwohner, von denen sich viele stolz als Nachfahren des antiken Sparta verstehen, vorerst die Schmach über sich ergehen lassen und abwarten wie Athen auf das geforderte Verbot reagieren wird.

Prächtige Statue des Königs Leonidas am „Spartathlon“ 2022
Der Ultramarathon gilt als beendet, wenn man die Füße der Statue berührt.

Die Identifikation mit Sparta durch faschistische Gruppierungen geht auf den Nationalsozialismus zurück. Die Nazis bewunderten die antiken Griechen und insbesondere die Spartaner. Allen voran Hermann Göring, welcher in seiner Rede von 1943 anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler die anstehende Niederlage der 6. Armee in der Schlacht von Stalingrad mit dem Heldentod des Spartaners Leonidas verglich, der die Griechen in der Schlacht bei den Thermopylen gegen die Perser anführte. Wenn man jedoch überhaupt die Konstellationen miteinander vergleichen würde, dann wären die Deutschen angesichts ihrer expansiven Bestrebungen, Invasionen und ihres Traumes, die Welt dem Dritten Reich zu unterwerfen, eher die antiken Perser und die Russen wären in diesem Vergleich die Griechen. Denn auch wenn man das angesichts der aktuellen Ereignisse kaum ungestraft äußern darf, haben die Russen im Zweiten Weltkrieg für die Freiheit Europas faktisch viele Leben geopfert, ähnlich wie damals Leonidas und seine Elitetruppe sich für die Freiheit Griechenlands aufgeopfert hatte. Allerdings kann man das persische Volk angesichts seiner jahrtausenden alten Kulturgeschichte und Identität nicht wirklich mit dem Spießbürgertum vergleichen kann, welches den Nationalsozialismus hervorgebracht hat. Das nur am Rande.

Die Geschichte Spartas wurde für die Propagandazwecke der Nazis jedenfalls schlichtweg verdreht und umetikettiert. Aber bereits vier Jahre vor Görings Rede hatte Adolf Hitler selbst in einer Rede Sparta als „klarsten Rassenstaat der Geschichte“ geehrt. Aber schon lange vor den Nazis, seit der französischen Revolution, wurde Sparta und seine einzigartige und stark militärisch geprägte Geschichte als beliebtes Beispiel für heroischen Kampf und Opferbereitschaft verklärt.

Die Spartiaten waren, sind und bleiben dank ihres Mythos von Ehre, Loyalität und Opfertod auch lange nach ihrer Ära ein Paradebeispiel für Stärke und Männlichkeit und damit zweifelsohne hot. Durch den Film „300“ von 2006 mit Gerard Butler als König Leonidas bekam der Mythos erneut einen Boost. Dieses verzehrte Bild, das von den Spartiaten im Westen gezeichnet wurde, scheint im Laufe der letzten Jahre nun auf die griechische Gesellschaft zurückprojiziert worden zu sein und prägt offenbar das Selbstverständnis von Ultranationalisten. Da die Partei ihren Erfolg hauptsächlich ihrem beeindruckenden Namen zu verdanken hat, ist jedenfalls davon auszugehen, dass sie ihn nicht kampflos aufgeben wird.

Tangofestival in Lyon – ein Must-Do?

Vom 4. bis zum 7. Mai 2023 ließ ich erneut meine Liebsten daheim zurück und stürzte mich in ein weiteres Tango-Abenteuer. Es ging nach Lyon, der drittgrößten Stadt Frankreichs. Nur ein Familienmitglied begleitete mich, mit welchem ich im Anschluss nach Paris weiterzureisen plante. Mit Tango oder dem Event hatte es nichts Hut, sondern nutze die Zeit für Sightseeing. Bad-Ems saß mir zwar noch in den Knochen, aber das hinderte mich nicht. Die Anreise erfolgte über Strasbourg mit dem TGV. Ich liebe den französischen Schnellzug! Er schwebt immer so schön ruhig durch die Landschaft – wie ein fliegender Teppich. Eines muss man den Franzosen lassen, die können Schienenverkehr! Gerne würde ich das auch über den französischen Tango behaupten. Da ist leider nämlich durchaus Luft nach oben.

Wo soll ich anfangen? Ich denke, ich war einfach neugierig, wie die Franzosen im Tango ticken. Also entschied ich mich, das Festival in Lyon zu besuchen und buchte einige Workshops bei Joe Corbata/Lucila Cionci, Ariadna Naveira/Fernando Sanchez und Roxana Suarez/Sebastián Achaval sowie Milongas für alle Abende. Mit den Workshops wollte ich nicht übertreiben. Diese wählte ich gezielt nach den Themen, die mich interessierten und nicht etwa nach Bekanntheitsgrad der Gastlehrer. Mit den „Stars“ der Szene kenne ich mich ohnehin kaum aus und mit Personenkult habe ich es generell nicht so.

Die einzelnen Veranstaltungsorte, zwei Tanzschulen sowie eine Halle, in der die Milongas veranstaltet wurden, befanden sich nicht nur nicht am selben Ort, sondern lagen in der weitläufig angelegten Großstadt stark verstreut. Das hielt mich jedoch nicht von der Teilnahme ab. Mein Motto lautete: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Optimistisch buchte ich mir also im Vorfeld ein Hotel, das inmitten der drei Adressen lag, nämlich in Perrache-Charlemagne zwischen den Flüssen Rhône und Saône. Taktisch erwies sich die Lage meines Hotels doch nicht als die beste Wahl, aber das konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht ahnen. Die Hotelempfehlungen der Veranstalter wurden erst später auf der Website veröffentlicht und hätten für Tangotouristen, die ohne eigenes Auto anreisten, eindringlicher und als alternativlos erfolgen können und müssen, aber dazu komme ich später.

Tag 1: Auf dem Weg zu meinem ersten Workshop nahm ich die Metro. Soweit – so gut. Ziel war 1 Ancienne Route d’Heyrieux in 69200 Vénissieux. An der Adresse eingetroffen, war dort wo sich das Gebäude befinden sollte, ein *räusper* beachtlicher Graben! Da fühlte ich mich schon irgendwie veräppelt. Auch andere Teilnehmer irrten mit Smartphone in der Hand ratlos in der Gegend umher. Ich schloss mich mit einer von ihnen, einer Lyonerin, kurz. Die eigentliche Tanzschule befand sich, wie sich kurze Zeit später herausstellte, letztendlich nur eine Straße weiter. Mein Fehler, ich hätte vielleicht eine Kristallkugel oder Wünschelrute einpacken sollen, anstatt mich auf Google Maps zu verlassen.

Der folgende Unterricht bei Lucila und Joe war an sich super. Eine sehr lehrreiche Lektion über Voleos, die ich mit einer führenden Dame aus Paris absolvierte. Dank Lucila habe ich erstmals begriffen, dass ich den Voleo einfach nur zulassen muss. Bis dahin hatte ich ihn, vermutlich aus Angst vor Verletzungen, immer leicht ausgebremst. Seither weiß ich, woran ich ihn arbeiten muss. Anschließend sollte es zur Milonga gehen. Meine Tanzpartnerin begleitete mich. Zu zweit ist es sicherer und man kann sich unterhalten. Bei dieser Gelegenheit bekam ich ein paar Erfahrungsberichte über Tango in Frankreich und Paris und erzählte umgekehrt vom Tango in Deutschland und Griechenland. Zeit zum Plaudern hatten wir zu genüge, denn um zur Salle de la Garenne in 60 avenue Général Eisenhower zu gelangen, mussten wir Metro und Bus kombinieren und anschließend noch ca. 10 Gehminuten eine steile Straße aufwärts marschieren. Die Luftlinie betrug insgesamt gute 10 Kilometer. Mit Lauf- und Wartezeiten waren wir summa summarum über eine Stunde unterwegs.

Nach so einem langen Anreisetag plus anspruchsvollem Workshop fühlte ich mich abends schon ganz schön aufgeraucht. Die Milonga war dann trotzdem ganz ok. Indira Hiayes und Rodrigo Palacios performten beeindruckend. Allerdings verspätete sich die Lieferung der angekündigten Snacks und in der Nachbarschaft gab es nichts zu essen. Mir knurrte der Magen.

Gegen 1 Uhr war ich hundemüde, was nicht verwunderlich war, denn ich war seit früh morgens auf den Beinen war. Also googelte ich mit dem Smartphone nach einem lokalen Taxiunternehmen. Zu meiner Verblüffung fand ich nicht viele Anbieter, welche normale Fahrten unternahmen. An einer überteuerten Limousinenfahrt zum Flughafen war ich zumindest nicht besonders interessiert. Also blieb mir nur ein einziges lokales Taxiunternehmen zur Auswahl. Ein mürrischer Mann sicherte mir telefonisch die Abholung in 20 min. zu. Also wartete ich brav an der Zufahrt zur Straße. Doch niemand kam. Als ich erneut in der Zentrale anrief, bekam ich von einer Dame nur zu hören, dass im Moment leider kein Taxi verfügbar sei. Klasse… Es wurden von den Veranstaltern zwar privat Shuttles organisiert, die regelmäßig zwischen der Milonga und den beiden empfohlenen Hotels pendeln sollten, aber die starteten erst ab 2:20 Uhr und diese Gegend anzufahren, brachte mich meinem Hotel kein bisschen näher. Der Fußweg von der Milonga zu meinem Hotel betrug über 1 Stunde, die ich nachts nicht laufen wollte und schon gar nicht unbegleitet. Ich ging also erstmal wieder in die Halle zurück, um den Helfern am Empfang mein Problem zu schildern und sie um Rat zu bitten. Man reagierte etwas verdutzt über mein frühes Aufbrechen, gab sich aber freundlich und problemlösungsorientiert. Na ja, es blieb bei der wohlwollend gemeinten Ankündigung, mir helfen zu wollen. Eine konkrete und zufriedenstellende Lösung bot man mir trotz mehrmaligem Nachhaken jedoch nicht an und wandte sich stattdessen anderen Aufgaben zu. Ein Mann mit gedrungener Gestalt und dem Charme eines Disco-Türstehers bewegte sich hektisch-gestresst zwischen der Halle und dem Wendehammer vor der Halle hin und her. Gut möglich, dass er der (Mit-)Verantwortliche des Festivals war. Zumindest war er am Programm beteiligt. Falls er Mit- oder gar Hauptverantwortlicher war, legte er nach meiner Beobachtung keinen allzu großen Wert darauf, sich als Gastgeber zu erkennen zu geben. In seiner Hektik war der Mann jedenfalls nur schwer abzupassen, aber schließlich gelang es mir und so schilderte ich auch ihm mein Problem. Er faselte etwas davon, eine Lösung zu finden. Angeblich käme ein Freund mit einem Transporter zur Location, welcher sich aber derzeit noch am Flughafen befand. Ob und wann dieser mich zum Hotel bringen würde, blieb jedoch unklar. Diesbezüglich kamen weder er noch sonst irgendjemand auf mich zu, während ich sichtbar im Foyer wartete. Irgendwie schienen viele Mitglieder des Orgateams unter Amnesie zu leiden.

Ein nettes deutsches Paar aus Karlsruhe hatte beim Bestellen eines Taxis derselben Zentrale etwas mehr Glück. Sie boten mir an, das Taxi im Anschluss an ihre Fahrt zu übernehmen. Das Taxi verspätete sich, aber immerhin kam diesmal tatsächlich ein Fahrer in einem weißen E-Auto angeschlichen. Von denen gibt es in Lyon viele. Der junge Mann war mein Retter in der Not und bekam zum Abschied ein großzügiges Trinkgeld von mir. Nach dem Stress fiel ich erstmal tot ins Bett.

Tag 2: Am nächsten Tag ging es am frühen Abend zu einem weiteren Workshop von Lucila und Joe zum Thema Rhythmuswechsel in den Giros beim Vals. Die Adresse führte mich zu “Infinity Dance” in 6 pass du béal in 69009 Vaise, also an einer komplett anderen Adresse als am Vortag. Diesmal stieß ich zwar nicht auf eine Baugrube, aber dafür landete ich – trotz korrekter Adresse – in einem Privathaus. Zumindest wirkte das Gebäude innen so. Der Eingang war nicht verriegelt. Also betrat ich das Haus und ging zögerlich eine alte Holztreppe hinauf. Keine Musik. Kein Gerede. Nein, hier musste ich falsch sein. Eine junge Frau, die mir die Treppe entgegen stürmte, bestätigte meinen Verdacht und zeigte mir den Weg zur Tanzschule, nachdem ich ihr den Grund meiner Störung erklärt hatte. Das Studio befand sich letztendlich nicht weit entfernt, nämlich hinter demselben Gebäudekomplex. Auf der Straße war von Musik jedoch nichts zu hören. Gut, man soll ja etwas nachsichtig und flexibel sein, aber für eine Schnitzeljagd hatte ich mich eigentlich nicht angemeldet.

Wie zu allen Workshops hatte ich mich ohne Tanzpartner angemeldet. Ein junger Gasttänzer bot sich als Partner an. Anfangs war er freundlich. Seine Muttersprache sei Spanisch, aber er wirkte eher so, als stammte er aus dem arabischen Raum. Die genaue Herkunft ist mir eigentlich egal. Das Verhalten eines Menschen hingegen nicht. Mit seinem Hinweis, er helfe in dieser Schule selbst als Lehrer aus, setzte mein Tanzpartner schon zu Beginn ein klares Signal bezüglich unserer vermeintlich divergierenden Tanzniveaus und nörgelte im weiteren Verlauf ständig an mir herum, während ich über seine Defizite tolerant und harmonieorientiert hinwegsah. Denn trotz erneuter Probleme, das Studio zu finden, konnte ich innerlich zügig auf Tangomodus umschalten. Tango ist meine Leidenschaft. Da bin ich eigentlich immer zufrieden und gut gelaunt. Klar interessiert mich auch grundsätzlich das Feedback meiner Tanzpartner und höre mir grundsätzlich jede Kritik aufmerksam an. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich unreflektiert über jedes Stöckchen hüpfe, das man(n) mir hinhält. Ich tanze nicht erst seit gestern, kenne mich inzwischen selbst ganz gut und weiß dank kompetenter Maestros wo meine technischen Schwächen und auch meine Stärken im Tango liegen. Manche Tangotänzer erwarten jedoch blinde und bedingungslose Unterwerfung ihrer ‚Lehren‘. Aber hier war ich lediglich einverstanden, mit dem jungen Mann den Workshop zu absolvieren. Als Schülerin und Schüler. An seiner Expertise war ich insofern nicht sehr interessiert, zumal mir diese nicht bekannt war und ich in diesem Studio keine Wurzeln schlagen wollte. Jeder kann im Grunde unterrichten und sich Tangolehrer nennen. Das macht noch lange keinen Meister. Von der Kompetenz der beiden Kursleiter war ich seit dem Vortag überzeugt. Insofern benötigte ich niemanden, der sich als Instanz dazwischenschaltet und mich ungefragt und in anmaßendem Ton unterunterrichtet. Dieses Phänomen beobachte ich öfter im Tango. Es ist schade, wenn Leute an einem gemeinsamen Lernen auf Augenhöhe ex tunc nicht interessiert sind und stattdessen lieber ihre privaten oder beruflichen Probleme auf dem Parkett kompensieren. Nach neunzig Minuten verabschiedete ich mich schmerzlos.

Auch an diesem Abend besuchte ich die Milonga. Ich hatte beim Stylen etwas zu sehr getrödelt, sodass ich die Straßenbahn nicht mehr erwischte. Die hatte schon Feierabend. Also lief ich weiter und passierte den Bahnhof Perrache in einem Milongakleid aus Satin, was ich übrigens nicht weiterempfehlen würde. Denn in der Bahnhofsunterführung zog ich schnurstracks vorbei an Olalas, Salut-Madames und ähnliche Anmachen, was mir Unbehagen bereitete. Leider befand sich die Bushaltestelle, von der aus ich in Richtung Milonga fahren könnte, auf der anderen Seite des Bahnhofs. Aber ich erwischte den letzten Bus und traf etwas spät aber unversehrt an der Location ein. Diese war an sich super. Ich habe nette Leute kennengelernt, mein Französisch aufgefrischt und viele schöne Tandas getanzt. Neben Octavio Fernandez und Corina Herrera performten auch Roxana Suarez und Sebastián Achaval an diesem Abend. Was den Unterhaltungsfaktor anging, hatte ich also keinen Grund zu klagen. Und für die Heimfahrt hatte ich diesmal auch vorgesorgt. Das dachte ich zumindest.

Bereits am Morgen hatte ich mir extra ein Konto bei einer bekannten Vermittlungs-App für Fahrteneingerichtet und einen Fahrer für 2 Uhr nachts bestellt. Das war relativ früh, denn auf Festivals feiert man bis in die frühen Morgenstunden. Während ich pünktlich am Treffpunkt wartete, stornierte mein Fahrer „Pierre“ kurzerhand die Fahrt. Offenbar war dieser nicht einmal in der Stadt. Ich Glückspils… Um mich nicht wieder sinn- und ergebnislos mit den Helfern des Festivals auseinanderzusetzen, dachte ich kurz darüber nach, den weiten Weg zu Fuß anzutreten. Als plötzlich ein männlicher Milongagast mit zwei Damen im Schlepptau auftauchte und mich fragte, ob ich auf einTaxi wartete. Ich schilderte ihm, dass mein Fahrer mir gerade abgesagt hatte. Daraufhin bot er mir an, mich mitzunehmen. Ich nahm sein Angebot dankend an und entschuldigte mich bei allen für die Umstände. Die Fahrt war ein Traum! Alle drei waren sehr freundlich und auch aufrichtig an einem Austausch interessiert. Bessere Gesellschaft hätte ich mir kaum wünschen können. Mein Glaube an die französische Eleganz wurde ausgerechnet in diesem kleinen und betagten Dreitürer mit Verbrenner wiederhergestellt.

Nachdem der nette Herr die beiden Damen abgesetzt hatte, brachte er mich auch mich zu meinem Hotel. Trotz des Umwegs, nahm er kein Benzingeld von mir an. Er stimmte jedoch zu, sich von mir auf einen Drink einladen zu lassen, falls wir uns auf der nächsten Milonga wiedersehen würde. Aber das ergab sich nicht. Sein Name war übrigens Pierre, genauso wie der unzuverlässige Fahrer der Vermittlungs-App, der mich versetzt hatte. Dieser Pierre war jedoch definitiv ein Ritter.

Tag 3: Gleicher Ort – andere Lehrer. Für diesen Tag hatte ich zwei Workshops bei Roxana Suarez und Sebastián Achaval gebucht. Obwohl ich wie zuvor auch immer schon bei der Anmeldung daraufhin wies, dass ich einen Tanzpartner benötige, verbrachte ich die ersten fünf Minuten als Zuschauer auf der Bank. Richtig gelesen. Offenbar blieb dies nicht unbemerkt. Denn schon kurz darauf eilte eine junge Französin zu mir und bot mir an, den Workshop mit mir zu machen. Sie entschuldigte sich mehrmals, dass sie keine ausreichende Erfahrung im Führen hatte. Aber besser tanzte ich mit einem unerfahrenen Führenden als gar nicht, dachte ich mir. Schließlich hatte ich für den Workshop gezahlt und einen weiten Weg durch die Stadt hinter mir. Die hübsche Tänzerin gab sich Mühe und führte den Giro sogar besser als so mancher „echter“ Führender. Insofern war es für mich völlig in Ordnung. Ich bat die Lehrerin Roxana um ihr Feedback. Sie hatte ein motivierendes und positives Wesen und nahm sich überraschend viel Zeit mit mir. Ein echter Vollprofi. Auch Sebastián gab mir später ein paar ergänzende wertvolle Tipps, sodass ich nach anfänglichen Hürden aus dieser Unterrichtseinheit doch noch manches mitnehmen konnte.

Für den nachfolgenden Workshop kümmerte ich mich um einen Partner mit mehr Führungserfahrung. Bruno war schnell gefunden. Er war mittleren Alters und ein hervorragender Tänzer. Leider wusste er das auch und war insofern nur schwer zufrieden zu stellen. Das Thema „Lapices und Planeos“ war für mich relativ neu, aber ich freute mich schon im Vorfeld riesig darauf! Es erwies sich als eine spannende Herausforderung. Insbesondere den „Drehmoment“ im Planeo zu erkennen und zuzulassen, fiel mir anfangs schwer. Aber am Ende des Unterrichts fühlte ich mich dank der Anleitung der Lehrer und der Geduld und der soliden Führung meines Tanzpartners so sicher, dass ich Lust bekam ein wenig herumzuspielen und Voleos und Verzierungen einbaute. Planeos – ich möchte in Zukunft unbedingt tiefer in diesen Kosmos eintauchen….

Für den Samstagabend war das Orchester El Cachivache angekündigt. Im Vorfeld hatte ich Auftritte von den Jungs gegoogelt, aber live sind die noch viiiel besser. Mensch, haben die den Tango gerockt! Die gehören echt verboten. :–) Die Tanzfläche war voll und die Halle bebte. Lucila Cionci und Joe Corbata sowie Ariadna Naveira und Fernando Sanchez performten zunächsten jeweils als Paar und anschließend zusammen in einer Art Ménage-à-quatre:

Bei Live-Musik bin ich meist etwas ratlos, wie ich zur Musik tanzen soll, aber diesmal ließ ich mich einfach nur treiben. Ich genoss sinnliche und spaßige Begegnungen mit wunderbaren Tänzern. Und plötzlich war er da. Dieser eine Mann, mit dem ich schon den ganzen Abend erfolglos Blickkontakt herstellen wollte, bemerkte mich schließlich doch forderte mich zum Tanzen auf. Natürlich folgte ich seiner Einladung. Er war kein typischer Schönling und auch nicht groß, hatte aber eine unglaublich männliche und kraftvolle Aura und meeresblaue Augen. Er trug ein helles Fischernetz um den Kopf. Wie er mir erzählte, stammte er aus der Bretagne und war sichtlich stolz auf seine Herkunft. An seinen ungewöhnlichen Namen erinnere ich mich leider nicht. Aber an diese Tanda werde ich mich immer erinnern. In den Armen dieses Tango-Piraten war ich einfach nur eins mit der Musik.

Aber auch der schönste Abend geht irgendwann zu Ende und gegen 3 Uhr entschloss ich mich, die Milonga zu verlassen und zum Hotel zurückzukehren. Ich griff zum Handy und versuchte es erneut bei dem örtlichen Taxiunternehmen. Wieder Pech. Alle Taxis seien im Einsatz, vertröstete mich die Dame am Telefon. Wie kann das sein, dass man in einer europäischen Großstadt kein Taxi bekommt? Hadern nützte mir nichts. Ich hatte nicht die Nerven, mich mit ignoranten Organisatoren oder Helfern zu plagen. Auch war ich zu stolz, um Fremde anzuhauen mich mitzunehmen. Also brach ich auf, um den Heimweg zu Fuß zu wagen.

In der linken Hand hatte ich mein Handy für die Navigation und meine rechte parkte ich in meiner Jackentasche mit Reizgas in der Faust und dem Zeigefinger stets auf dem Auslöser. Die erste halbe Stunde war noch ok. Alles Wohngebiet und meist gut beleuchtete Straßen. Aber ab der Montée des Génovéfains wurde es echt ungemütlich. Nur noch kleine dunkle Gassen und eine schwer einsehbare, verwinkelte Treppe. An der Pont Kitchener-Marchand eingetroffen, konnte ich kurz durchatmen. Das dachte ich zumindest, denn plötzlich lieferten sich ein paar Spinner ein lautstarkes Autorennen auf der Brücke. Am Ende der Brücke fand ich mich vor dem Bahnhofgebäude wieder. Nachts erschien es mir wie eine monströse, unförmige und unüberwindbare Festung aus Beton und Metall. Bis heute bin ich mir nicht sicher, welche Seite des Bahnhofs Vorder- bzw. Rückseite ist. Es war inzwischen fast 4 Uhr. Bei dem Gedanken, zu dieser Zeit die Unterführung zu passieren, bekam ich – gelinde gesagt Respekt. Bahnhofsgegenden sind bekanntlich Kriminalitäts-Brennpunkte und die Männercliquen mit ihren dummen Anmachen auf dem Hinweg waren mir noch gut in schlechter Erinnerung. Aber irgendwie musste ich auf die andere Seite dieses Bahnhofs gelangen, denn dort lag mein Hotel. Dank meines Fachwissens in Kriminologie hatte ich mich bis dato durch die Straßen und Gassen zu bewegen gewusst, ohne mich zur potenziellen Zielscheibe zu machen. Ich bewegte mich ohne Unterlass souverän, zielorientiert und ortskundig, selbst dann, wenn ich völlig unsicher und planlos war. Nur in unbeobachteten Momenten schaute ich kurz auf mein Handy, welches ich zuvor bewusst auf leise gestellt hatte. Ich wollte möglichen Beobachtern auf keinen Fall orientierungslos erscheinen.

Aber nun, am Gare de Perrache eingetroffen, war ich tatsächlich etwas ratlos und studierte die Karte von Google Maps ein wenig genauer, um eine alternative Route zu finden, die mir diese lange und düstere Unterführung ersparen würde. Kaum steht man kurz still, wird man schon angequatscht. Ein Mann wollte wissen wo der Bahnhof zu finden sei. Dabei standen wir direkt davor. Offenbar ging es ihm primär tatsächlich nur um den Weg. Nichtsdestotrotz ist es unangebracht, nachts einsame Damen anzusprechen. Auch wenn derjenige keine schlechten Absichten hegt. Damit erzeugt man automatisch Anspannung. Insofern muss das nicht sein. Bei helllichtem Tag ist das etwas völlig anderes. Wie dem auch sei, er fand keinen Zugang zum Gebäudekomplex. Willkommen im Club! Nachts ist der Laden dicht und von dieser Seite schien es keinen Zugang zu geben. Nachdem das geklärt war, ging ich weiter und entschied ich mich zunächst, den Bahnhof nicht zu passieren und stattdessen vor dem Komplex entlang zu gehen und über einen extralangen Umweg über die Pont Gallieni und Pont Pasteur von Süden sicher die Insel entlang zu meinem Hotel zu gelangen, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob die Pont Pasteur überhaupt wegeläufig passierbar war.

Aber soweit kam ich gar nicht, denn auf dem Weg zur Pont Gallieni musste ich die dunkle Parkanlage am Place Carnot durchqueren. Da ich so wenig wie möglich mein Smartphone um Rat fragen wollte, war mir die Größe des Parks nicht bekannt, sonst hätte ich ihn vermutlich umrundet. Dort wollte ein Typ zum Glück nur eine Zigarette von mir schnorren und war enttäuscht, dass ich nicht rauchte. Ich ging entschlossen weiter und machte einen Bogen um die hörbaren „Parkbewohner“. Mich überkamen Zweifel, ob der Park im Vergleich zu der Unterführung das geringere Übel war. Allerdings hätte ich im Tunnel nur zwei Richtungen als mögliche Fluchtwege und im Park theoretisch mehr. Als ich die Pont Gallieni betrat, registrierte ich eine sehr laute Konfliktsituation mitten auf der Brücke, an der mehrere Leute beteiligt waren. Möglicherweise waren Alkohol oder Drogen im Spiel. Auf keinen Fall wollte ich da zwischen die Fronten geraten, also kehrte ich um und entschied mich, die Unterführung nun doch zu nehmen.

Also passierte ich erneut den Park. Ich unternahm einen letzten Versuch, in das Bahnhofsgebäude zu gelangen, um es von innen zu passieren. Aber der einzige Zugang, den ich fand, war verriegelt. Ich umklammerte weiterhin mein Spray mit der rechten Hand und begab mich zur Unterführung. Ich fühlte mich ein bisschen wie Indiana Jones in „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ und zwar in der Szene, in der er den legendären Sprung des Glaubens wagte. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Unterführung und die Straße, in die sie mündete, wohlbehalten passieren würde. Aber mir blieben nicht viele Handlungsoptionen. Mit einem kurzen Stoßgebet und viel Gottvertrauen ab durch die Mitte! Ironischerweise begegneten mir keine problematischen Gestalten und ich passierte den Bahnhof unbehelligt. Keine unerwünschten Interaktionen. Nur ein paar betrunkene Jugendliche kreuzten meinen Weg. Die waren aber nur mit sich selbst beschäftigt und ignorierten mich. Gut so. Inzwischen war es schon halb 5 Uhr morgens. Irgendwann gehen wohl selbst Rumtreiber und Kriminelle ins Bett. Auf der anderen Seite des Bahnhofs angelangt, war ich einfach nur heilfroh. Die letzten Meter auf der Cours Charlemagne tänzelte ich erleichtert zu meinem Hotel. Ich war glücklich, aber gleichzeitig auch tot. Meine Begleitung schlief seelenruhig und bemerkte zum Glück nichts von meiner Not und den Ängsten, die ich ausgestanden hatte. Ich mag es nicht, meinen Leuten Sorge zu bereiten.

Tag 4: Am letzten Tag, nachdem ich komatös geschlafen und mich ein wenig von meinem Trauma erholt hatte, besuchte ich am Nachmittag zwei Workshops bei Ariadna Naveira und Fernando Sancheza. Für den ersten Workshop bot sich ein französischer Gasttänzer aus dem Team als Partner an, der sehr einfühlsam und geduldig war. Zum zweiten Workshop wurde ich an einen Gast vermittelt, der leider nicht über die erforderlichen Kenntnisse für diesen Kurs verfügte bzw. große Schwierigkeiten hatte, sich die gestellte Aufgabe und die Bewegungsabläufe zu merken. Was ihm an Erfahrung und Kompetenz fehlte, kompensierte er mit Redseeligkeit. Ich nutzte daher so oft wie möglich die Gelegenheit, die beiden Lehrer zu fragen, um das Thema halbwegs zu begreifen und das Beste für mich herauszuschlagen. Schließlich besuchte ich den Unterricht, um mich im Tango weiterzuentwickeln. Besonders Ariadna war nicht nur selbst ein Hingucker bei ihrer Performance, sondern eine hervorragende Analytikerin, die die Baustellen eines Tänzers sehr schnell erfasst und an den richtigen Schrauben dreht. Ein Hinweis von ihr hat meinen Tanz besonders nachhaltig geprägt. Dafür werde ich ihr immer dankbar sein.

Zur Milonga zog es mich an diesem Abend kein bisschen. Die schlechten Erfahrungen und meine gepeinigten Füße hatten mich endgültig davon kuriert. Stattdessen bereitete ich mich gemeinsam mit meiner Begleitung auf meine Weiterreise nach Paris vor. Erst im TGV nach Paris redete ich mir meine Traumata von der Seele und erholte mich langsam von den Strapazen.

Fazit: Das Fazit kann man sich im Grunde von der Festival-Website unschwer ableiten. Dort heißt es übersetzt, sie hätten das Festival vor 6 Jahren ins Leben gerufen und mit jedem Mal kämen sie dem Festival näher, von dem sie träumten.

Damit gestehen sich die Organisatoren ein, noch weit von der Perfektion entfernt zu sein. Aber nicht aus den Gründen, die sie selbst wohl vermuten. Das wesentliche Problem liegt nämlich spürbar in ihrer Einstellung. Sie scheinen einfach viel zu sehr damit beschäftigt zu sein, sich selbst zu feiern und bildgebend zu promoten, anstatt auf die Bedürfnisse der Gäste einzugehen. Als seien diese nur Dekoration oder zweite Klasse. In den sozialen Medien präsentiert man das Event anschließend als großen Erfolg. Aber da redet man sich künstlich etwas herbei, was hinter den Kulissen so glänzend und gelungen nicht immer war. Denn ob es gelungen war oder nicht, darüber urteilen weniger die Veranstalter, sondern vielmehr die Gäste. Und ich als Gast habe eher gemischte Gefühle und große Vorbehalte, wenn ich mich an Lyon erinnere. Insofern kann ich den „Erfolg“ guten Gewissens so nicht mitunterschreiben. Nicht nur mir erging es so. Selbst Einheimische, mit denen ich mich unterhielt, waren über die Lage der Veranstaltungsorte und die Verkehrsmittel nicht gerade begeistert. Klar gab es auch einige gute Momente. Unten habe ich ein Video von einer beeindruckenden Tangoshow von vier Profitänzern eingebettet, die mir allesamt als Lehrer eine Inspiration waren. Dass man jedoch Festival-Teilnehmer bei der Suche nach den korrekten Kursorten eine Schnitzeljagd zumutet und im Vorfeld mit keinem Wort auf die vertrackten Bedingungen hinweist, schmälert nicht nur das Vertrauen, sondern spricht für eine schlechte Planung. Im Resultat bekommt man als Tango-Tourist den Eindruck, dass man im Grunde keine Ortsfremden und Ausländer dort haben will. Sonst würde man ihnen nicht diesen abgelegenen Veranstaltungsort für die Milongas zumuten, von denen man abends oder nachts nicht oder nicht sicher heimkehrt. Zudem gibt es keine aufrichtig interessierten Ansprechpartner für Probleme und die Problemlösungskompetenz der Helfer geht nahezu gegen null. Sehr zulasten des Gastes. Ich persönlich war jedenfalls sehr gestresst durch den Umstand, jeden Abend nicht zu wissen, ob oder wie ich nach der Milonga zurück zum Hotel komme und war letztendlich gezwungen, mich einem traumatisierenden Worstcase-Szenario auszusetzen, nachts allein und gequält durch die Straßen dieser fremden Großstadt zu laufen und mich damit in nicht unerhebliche Gefahr zu begeben.

Ohne eigenes Fahrzeug oder zuverlässige Freunde in der Stadt sollte man das Festival nicht besuchen. Wenn man obendrein kein Französisch spricht, wird man es in der Stadt unweigerlich sehr schwer haben. In Lyon sind die Franzosen nach meiner Erfahrung nicht so weltoffen wie etwa in Paris und die Willkommenskultur eher dürftig. Und Deutschen wird da ohnehin kein roter Teppich ausgerollt, um es diplomatisch zu formulieren.

Stargäste und gute Orchester reichen jedenfalls für das Gelingen alleine nicht aus. In Lyon ist man noch Lichtjahre von einem gelungenen Tangofestival entfernt. Wie der Titel also schon erahnen lässt: Kann man machen – muss man aber nicht.

¡Adiós Carlos!

Wie ich heute erfahren habe, ist Karlheinz Schmitt besser bekannt als „Carlos“ gestern von uns gegangen. Carlos kam wie ich aus Weinheim und war ein engagiertes und lebendiges Mitglied der lokalen Tango-Community. Sein letzter Facebook-Beitrag war ein Reel, welches offenbar im Schwarzwald entstanden war und erst vor wenigen Tagen von ihm gepostet wurde. Worte schaffen Realität. Wenn man genau hinhört, wirkt der Kommentar seiner Begleiterin fast prophetisch. „Die Ravennaschlucht. Der todesmutige Carlos in der Ravennaschlucht.“ Carlos schunkelt dabei zufrieden und fröhlich in Abrazo.

Nur eine einzige Tanda habe ich mit ihm in Worms getanzt und auf seine Bitte hin für ihn gedolmetscht als er einer jungen Sängerin aus Argentinien seine Unterstützung anbot. Das war keine leichte Aufgabe, denn er war begeistert und aufgeregt wie ein Schuljunge und konnte seine Gedanken nur schwer ordnen. Aber es war mir dennoch eine Ehre!

Man könnte behaupten, ich kannte ihn nicht gut und ein Nachruf stünde mir insofern nicht zu. Da bin ich jedoch ­anderer Ansicht. Man kann verbal so viele Informationen austauschen wie man will, aber man kennt jemanden erst, wenn man mit ihm getanzt hat. Unweigerlich blickt man in die Seele des Anderen und offenbart auch seine eigene.

Carlos hatte viel Liebe im Herzen und rockte den Tango wie kein Zweiter….

Nichts ist so verführerisch wie…

Nichts ist so verführerisch wie ein Mann, der sich angekommen fühlt.

Selbstzufriedenheit, Einklang mit dem Kosmos und das damit verbundene Lebensgefühl, exakt da zu stehen, wo man sein möchte, ist eines der wenigen Dinge, die ein Mann nicht oder nur schwer vortäuschen kann. Es sei denn, frau sieht nicht so genau hin oder lässt sich aus welchen Gründen auch immer bewusst blenden. Aber im Grunde hat ein beruflich und/oder sozial arrivierter Mann diese besondere Aura, die man einfach nicht imitieren kann und die ihn von „experimentierfreudigen“ Kindsköpfen und Tagträumern unterscheidet. Diese wirken aufgrund von gesellschaftlichen Idealen, denen sie erfolglos nachjagen, immerzu getrieben und rastlos.

© Koutamares

Es ist übrigens keine Frage des Geldes, wie man vorschnell meinen könnte. Geld macht zwar vieles im Leben leichter, aber reicht als alleiniger Faktor nicht aus, um in sich inneren Frieden zu erzeugen. Diese besondere Aura, von der ich spreche, sehe ich zwar zugegeben schon wesentlich häufiger bei eher gut situierten Männern, habe ich aber ebenso bei solchen beobachtet, die in bescheideneren Verhältnissen leben. Einmal, vor nicht allzu langer Zeit, habe ich so jemanden sogar in der Gestalt eines jungen Obdachlosen gesehen und zwar im Frühling dieses Jahres in Paris. Aber das ist eine große Ausnahme. Er war ca. 30 Jahre alt und stach als Europäer mit einer gewissen Würde aus dem Getümmel von geschäftigen Indern, Pakistani, Bangladeschern oder weiß Gott, woher die alle stammten, das ich zwischen dem Gare de l’Est und dem Gare du Nord in der Rue du Faubourg Saint-Denis passierte, überraschend heraus. Offenkundig war er bettelarm und hatte eine ungepflegte Erscheinung, aber er war innerlich definitiv mit sich im Reinen, obwohl er objektiv betrachtet kaum Anlass dazu hatte. Womöglich hatte er seine persönliche „Ziellinie“ bereits erreicht und war durch vergangene Erfolge nachhaltig erfüllt. Sein Blick traf von der gegenüber liegenden Straße auch mich und auf seltsame Weise erkannten wir einander.

Keine Ahnung, welche Think-Tank jedenfalls dem modernen Mann einbläut, dass Orientierungslosigkeit irgendwie cool, geheimnisvoll oder liebenswürdig sei und man getrost zu ihr stehen dürfe. Alles Blödsinn. Eine Verwässerung der Vorstellung von Männlichkeit, deren Sinn und Zielsetzung ich ehrlich gesagt nicht verstehe. Odysseus mag das vielleicht gut zu Gesicht gestanden haben. Er ist jahrelang auf der See umhergeirrt, aber er hatte dieses „Lebenskonzept“ nicht freiwillig etwa aus Lethargie gewählt. Zudem war er im Inneren auch alles andere als planlos, sondern hatte immer ein klares Ziel vor Augen und somit im Herzen immer einen funktionierenden Kompass. Er wurde von höheren Mächten lange Zeit von seiner Heimkehr abgehalten, kehrte aber letztendlich zurück. In der Gestalt eines Bettlers, wohlgemerkt. Der moderne Mann hat es in der Regel eher nicht mit Sirenen oder Zyklopen zu tun und landet auch nicht bei Hades in der Unterwelt, auch wenn einem der eigene Vorgesetzte manchmal so vorkommt. Das wäre aber zugegeben mal eine wirklich stilvolle Ausrede!

„Ich bin nicht da, wo ich sein möchte.“ „Ich muss erst mein Studium/Doktorarbeit abschließen, bevor wir heiraten.“ „Ich weiß im Moment nicht, wie es beruflich mit mir weitergeht.“ „Ich bin im Moment einfach sehr mit mir selbst und meinen Zielen beschäftigt und habe keine Zeit für eine Beziehung.“ „Ich, ich, ich…“ Wenn Frauen solche Sätze von ihrem Kandidaten hören, kann man ihnen eigentlich nur eines raten: Nehmt die Beine in die Hand und lauft und zwar so schnell und so weit ihr könnt. Von solchen Kandidaten ist nichts zu erwarten. Warten lohnt sich auch nicht, sondern ist pure Zeitverschwendung. Wer mit seiner Liebe zurückhält oder aufwartet bis sich bestimmte Lebensereignisse wie z.B. der lang ersehnte Karrieresprung einstellt, hat in Wahrheit gar keine Liebe zu vergeben. Weder jetzt noch später. Solche Männer lieben, wenn überhaupt, nur sich selbst und träumen von Status und Applaus. Wer eine Frau liebt, lässt sie nicht ewig im Unklaren hängen, sondern fängt sie auf und hält sie fest. Basta.

Keinen Plan zu haben, wer man ist oder was man im Leben möchte, ist bei Jungs völlig ok und auch bei Frauen problemlos vertretbar. Aber wenn man(n) z.B. in seinen 40ern immer noch nach sich selbst sucht, wird man sich auch in Zukunft nicht finden. Damit will ich niemandem, der sich gerade tatsächlich in einer aussichtsreichen Entwicklung befindet, den Wind aus den Segeln nehmen, aber der Rahmen sollte schon irgendwann fertig gesteckt sein.

Den arrivierten Mann zeichnet es aus, dass er davon geprägt ist, Pläne zu entwickeln und diese stets mutig, entschlossen und kompetent umzusetzen, egal wie schwierig die Bedingungen sind. Dieser Mut macht ihn für Frauen nicht nur hochinteressant, sondern einfach unwiderstehlich…

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