Streamingtipp!

Im Leben einer Frau gibt es zwei Kategorien von Männern: Helden und Schurken. Und unter den Helden befindet sich, wenn sie großes Glück hat, dieser eine besondere Mann, der sie rettet, ihre Tränen trocknet und sie wieder aufrichtet. Klingt kitschig? Mag sein. Vielleicht bist du aber bloß unromantisch.

Momentan streame ich auf Amazon Prime „Heirate meinen Mann“.  Obwohl die Schauspieler total überzogen spielen und insgesamt alles sehr theatralisch anmutet, fahre ich total auf diese koreanische Serie ab. Was für ein Plot! Und die Mode erst! :–D Nur noch ein paar Folgen fehlen mir noch von der Staffel. Ich glaube, ich brauche danach einen Therapeuten. Aber das ist es wert! :–D

[Achtung Spoileralarm!] Im tragischen Leben der Protagonistin Kang Ji-won gibt es jedenfalls diesen einen besonderen Ritter, der ihr auf ganzer Linie hilft, sie in ihren Zielen und Träumen fördert und sie in ihrem Befreiungskampf selbstaufopfernd unterstützt, sodass sie sich von ihren toxischen Beziehungen befreit, endlich ihr wahres Schicksal erfüllen kann, sich emanzipiert und (hoffentlich) glücklich sein darf. Dieser möchte für sie ihr fester Boden unten den Füßen sein.

Szene „Heirate meinen Mann“, 1. Staffel

Im echten Leben beobachtet man diese Geisteshaltung bei Männern leider nur sehr selten. Deshalb lädt die Story ja auch besonders zum Träumen ein. Und wenn ich mir das so ansehe, muss ich sagen: in Ostasien scheint die Welt noch in Ordnung. Zumindest in dieser Hinsicht. In unseren Breitengraden hingegen schwindet dieses klassische Männlichkeitsbild leider immer mehr. Wer seine Geliebte beschützt und unterstützt, gilt schnell als Pantoffelheld oder Trottel mit Helfersyndrom, der sich von der Tussie ausnutzen lässt, ironischerweise insbesondere bei Männern, die sich in ihrer Selbstbezogenheit entlarvt und von echten Männern bedroht fühlen. Applaudiert wird stattdessen nur solchen Exemplaren, die sich ausschließlich um sich selbst scheren und sich darauf konzentrieren, sich gesellschaftlichen Rang zu verschaffen. Und mit was für Blödsinn teilweise! Karriere — eine schicke Wohnung — ein schnelles Auto. Der Markengasgrill auf der Terrasse darf natürlich auch nicht fehlen. Kochen kann das vermeintliche Alphatier zwar in der Regel nicht, aber er ist quasi ein Jäger, ein wahrer Natural-Born-Griller. Das reicht heute absolut aus, um sich Bewunderung und Respekt zu schaffen. Nebenbei bemerkt ist es völlig egal, was er ganz konkret dafür tun musste oder ob er gar seine Würde dafür verhökert hat, um an diesen Punkt gelangt zu sein. Danach fragt niemand….da niemand umgekehrt gefragt werden und Rede und Antwort stehen möchte. Der Zweck heiligt ja sowieso sämtliche Mittel.

Wer dann auch noch eine führende Position im Dienstleistungssektor ergattert, die das Tragen von Krawatten erfordert, einem schicke Restaurantbesuche, regelmäßige Reisen und die austauschbare, an der Magersucht entlang schrammende Lebensabschnittsgefährtin ermöglicht, die man in Wahrheit nicht sooo gerne anfassen mag, aber sich nunmal hält, weil sie den gleichgesinnten Kumpels den gewünschten Applaus und die Anerkennung abnötigt, der hat es — geschafft! Am besten noch im Sommerurlaub Kitesurfen gehen, um auf den Fotos besonders draufgängerisch und actionhaft rüberzukommen. Dass man sich dabei aus Ungeschicklichkeit die Hand verstaucht hat, wird natürlich nicht erwähnt oder als coole Kriegsverletzung verpackt. Das Bild muss schließlich stimmen. Eine Ehefrau und Kinder sind im Lebensentwurf solcher Männer optional, aber nicht zwingend erforderlich und bis aus Weiteres auch eher hinderlich auf dem oft sehr lange andauernden Selbstfindungstrip. Mit Ü50 kann man sich immer noch eine verzweifelte 25-Jährige zur Familiengründung suchen. Bei entsprechender Finanzlage überhaupt kein Problem. Und wenn Mama noch stolz ist, ist ohnehin alles in Butter. Sie ist aber meist schon stolz, wenn ihr Bub brav seinen Teller aufgegessen hat. Viel mehr muss er nicht leisten. Ob dieser über soziale Kompetenzen verfügt oder Sinnvolles für die Welt oder seine Mitmenschen leistet, ist zweitrangig. Sie hat ihre Messlatte in Puncto Männlichkeit in der Regel schon niedrig angesetzt als sie damals ihren eigenen Mann wählte.

Alles total Banane! Aber solange das gesamte Umfeld diese Irrungen rund um das Verständnis von Männlichkeit stützt, werden diese in Wahrheit unmännlichen Egomanen nicht als solche identifiert oder hinterfragt. Man(n) ist sich einig: So muss es sein! Der bescheidene Fabrikarbeiter hingegen, der in Schichtarbeit schwere Maschinen bedient, um seine frühzeitig gegründete Familie über die Runden zu bringen, sich dabei nie beklagt und jeden Abend mit derselben rundlichen Frau das Bett teilt, welche ihre Kilos nach dem dritten Kind nicht mehr komplett loswerden konnte, gilt hingegen als Loser. Na ja selbst schuld, dass er sich für ’nen Appel und ’n Ei abrackert, finden die meisten. Er hätte sich halt erst einmal verwirklichen sollen!

Was soll man bitte dazu sagen?? — Und wenn der Egomane nicht gestorben ist, ‚verwirklicht‘ er sich noch heute….. Zwar spielen Glück und günstige Umstände durchaus eine Rolle für den Verlauf einer erfolgreichen Biographie, aber mit 30 oder allerspätestens 40 sollte man(n) schon so langsam wissen, wer man ist und endlich mal ‚angekommen‘ sein. Irgendwann sollte man schließlich leben.

Ok, der Held meiner Serie, Yu Ji-hyuk, ist zugegeben kein einfacher Arbeiter und auch alles andere als bettelarm, sondern im Gegenteil ziemlich vermögend und macht im Businessanzug mit Krawatte auch was her. Aber sein Geld ist es nicht, das ihn attraktiv macht, sondern dass er seine Position und Macht geschickt nutzt, um seiner Angebeteten zu helfen und das sogar ohne „Gegenleistung“, sprich: ohne ihr dabei gleich auf den Pelz zu rücken. Er ist ein Machertyp mit Verantwortungsbewusstsein, feiert sich dabei zu keinem Zeitpunkt, sondern verbirgt seine hohe Position und seine Anwartschaften sogar und agiert vorwiegend im Hintergrund. Das hat Stil! Selbst als seine Angebetete ein Date mit ihrer Jugendliebe wahrnimmt, leidet er zwar heimlich, aber mischt sich nicht ein und lässt sie gewähren. Sie soll glücklich werden, egal wie oder mit wem. Das hat Vorrang. So lautet sein Kredo. Natürlich hofft er auf ihre (Gegen)Liebe, genauso wie der Zuschauer auf ein Happy End hofft. Aber diesem werden starke Nerven abverlangt und auch Konzentration, denn die Koreaner basteln ziemlich komplizierte Geschichten.

Aber zurück zu den Helden. Stark, erhaben, selbstlos, wohlwollend, in sich selbst ruhend etc. Heute gibt es diese Tugenden kaum noch, jedenfalls sind sie in unseren Breitengraden nicht sehr weit verbreitet. Die meisten Männer im westlichen Kulturkreis ticken leider vielmehr so wie dieser fürchterliche Ehemann der Serien-Protagonistin, unter dem sie während der ursprünglichen Zeitlinie jahrelang gelitten hat. Unausgeglichen, aggressiv, egozentrisch, selbstgerecht, anklagend, vorteilsorientiert, gierig, untreu, verbal ausfallend. Ein launisches Riesenbaby. Kurzum ein Schurke. Abgesehen davon, dass solche Typen ihr Umfeld stets belasten und strapazieren, suchen sie die Verantwortung für die eigenen Fehlschläge in der Regel ausschließlich bei anderen, nie bei sich selbst. Zudem wollen sie zwar als verantwortungsbewusst wirken, weil sie ahnen, dass das irgendwie ‚angesagt‘ ist, aber gleichzeitig keine echten Verpflichtungen übernehmen. Alles möglichst unverbindlich. Mit Hintertürchen. Und Sicherheitsnetz! Sie sind wahre Meister der Blendung. Verfehlen sie ihre oft überzogenen und unrealistischen Lebensentwürfe, werden sie erst instabil, panisch, dann aggressiv und lassen es zu guter Letzt bei ihren Mitmenschen aus und besonders gerne bei der eigenen Partnerin, falls vorhanden. Im Extremfall führt diese Abwärtsspirale zum Femizid, wobei die dahinterstehenden Dynamiken komplex sind.

Die meisten Frauen sind leider schwach. Nur deshalb konnte sich das vorherrschende Männlichkeitsbild überhaupt in der Gesellschaft etablieren. Anstatt sich einzugestehen, dass man sich einen Schurken angelacht und Zeit verschwendet hat, reden sich viele aus Angst vor dem Alleinsein ein, mit ihrem Partner ‚das große Los‘ gezogen zu haben. So wird der Schurke zum Helden umettiketiert. Diese Propaganda wird solange betrieben bis man es irgendwann selbst glaubt. Es ist ja auch einfacher, sich ein 1-Minuten-Ei hart zu reden als sich raus in die Welt zu trauen und seinen wahren Helden zu finden. Traurig, aber so funktioniert die Welt. Kämen nur die wahren Männer zum Zug, wäre die Menschenheit vermutlich längst ausgestorben.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt darauf, was aus der Protagonistin und ihrem Helden wird.

Lost Place: Geisterschiff „Dimitrios“

Während ich gerade in Griechenland unterwegs bin und nach neuer Inspiration suche, musste ich vor kurzem an einen besonderen Ausflug denken, den ich im Spätsommer vor zwei Jahren unternommen habe: meinen Besuch in Gytheio auf Peloponnes.

Gytheio (Griechenland, Peloponnes)

Der griechische Küstenort verfügt über eine traumhaft schöne Bucht, deren Anblick jedoch von einem rostigen Albtraum jäh durchbrochen wird: dem Schiffswrack „Dimitrios“ , welches seit dem Jahr 1981 dort ruht und surreal anmutet. Es ranken sich verschiedene Mythen rund um das Schiff, seine Fracht, den Eigner und die Strandung. Ein Bekannter aus einer nicht weit entfernten Gemeinde erzählte mir damals, es sei wahrscheinlich für Zigarettenschmuggel genutzt worden. Der damalige Kapitän sei angeblich erkrankt. Auch von Brandstiftung zwecks Verschleierung der Fracht bzw. Vernichtung von Beweisen ist die Rede. Dann wiederum soll ein technischer Defekt vorgelegen haben. Welche dieser Gerüchte stimmen und welche nicht, bleibt unklar. Es ist fast so als würde das Meer nicht nur die Substanz des Schiffes, sondern auch die Wahrheit wegspülen.

Aber ich möchte zur Abwechslung mal nicht allzu viele Worte verlieren, sondern lieber meine Aufnahmen sprechen lassen. Nur so viel: wer auf Peloponnes unterwegs ist und die Möglichkeit hat, sollte diesen besonderen Ort unbedingt besuchen. Aber was die Dimitrios angeht, besser nur gucken! Vermutlich muss ich das den meisten unter euch nicht explizit sagen, aber von Nachahmung des folgenden Videos rate ich dringend ab! Einsturzgefahr. Das Wrack ist nicht gesichert. Die zuständigen Behörden haben es einfach der Natur überantwortet und scheren sich nicht sonderlich darum. Aber nichtsdestotrotz ein sehr faszinierender lost place.

Besichtigung des Schiffswracks „Dimitrios“ bei Gytheio, Griechenland

Unerwünscht

Der Angriff

Neulich besuchte ich einen beliebten Flohmarkt in Mannheim. Das Wetter war heiter und so war der Markt gut besucht. Blendend gelaunt schlenderte ich von einem Verkaufsstand zum nächsten, machte ein paar Schnäppchen und plauderte mit den Verkäufern. Dann stieß ich auf den Stand einer dunkelhäutigen Verkäuferin mittleren Alters. Sie war afrikanischer Abstammung, wie ich später erfuhr. Die Frau bot hauptsächlich Secondhand-Oberbekleidung und einige wenige neue Gürtel sowie Taschen an. Ich grüßte sie und sah mich um, als plötzlich eine weitere Frau hinzustieß. Die blonde deutsche Frau, um die 50 Jahre alt, klein, leicht untersetzt, gab sich zunächst als interessierte Kundin und sah sich die Taschen genauer an. Alles soweit unverfänglich. Sie wirkte wie der Prototyp einer netten Nachbarin von nebenan. Vielleicht eine Hausfrau. Sie fragte die Händlerin freundlich nach dem Preis und bekam auch ohne Umschweife Auskunft. Es war der Auftakt eines ganz gewöhnlichen Verhandlungsgesprächs. Aber der Schein trog. Urplötzlich schlug ihre Stimmung um und in überraschend gouvernantenhafter Manier belehrte die Kundin die Händlerin in hartem Hochdeutsch:

„Die Taschen hier sind Neuware. Sie wissen aber schon, dass Neuware hier nicht erlaubt ist?“

Da ich direkt neben ihr stand, kam ich nicht umhin das Gespräch mitzuverfolgen. Insbesondere missfiel mir die perfide Taktik, also die Scheinfreundlichkeit und das geheuchelte Kaufinteresse, mit der die deutsche Frau ihren Angriff präparierte. Diese wurde nur noch vom anklagenden und missächtlichen Ton getoppt, mit dem sie ihren verbalen Angriff ausführte. Ich war erschüttert, ließ es mir aber nicht anmerken. Aufgrund meiner griechischen Wurzeln war ich in meiner Vergangenheit und insbesondere meiner Kindheit selbst schon oft Ziel ausländerfeindlicher und rassistischer Anfeindungen. Insofern ordne blitzschnell und präzise ein, ob eine Belehrung wohlwollend gemeint und nur im Ton daneben ist oder ausschließlich feindseliger Natur. Hier war eindeutig letzter Fall gegeben.

Meine Neugier und mein Pflichtgefühl hinderten mich daran, mich von der unbehaglichen Situation zu entfernen und weiterzugehen. Pflichtgefühl insofern, als dass meine reine Anwesenheit die deutsche Frau möglicherweise daran hinderte, noch mehr Grenzen zu überschreiten. Wer weiß, was sie noch alles ohne Zeugen vom Stapel gelassen hätte. Ich blieb also stehen, verhielt mich jedoch passiv. Nicht zuletzt wollte ich wissen, mit welcher Legitimation sie in dieser Weise in Erscheinung trat. Unklar war, ob die Frau zum Verein gehörte, die den Markt veranstaltete. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, würde sie dies – moralisch und juristisch – keineswegs dazu berechtigen, so mit der Händlerin zu sprechen. Sie sprach mit einer erwachsenen und erfahrenen Frau wie mit einem unartigen Kind, von oben herab. Aber die Gesamtsituation würde zumindest in einem etwas anderen Licht erscheinen, wenn diese die Befugnis hätte, für Ordnung auf dem Markt zu sorgen. Da sich die Frau jedoch nicht entsprechend zu erkennen gab und nicht auswies, gehörte sie folglich weder zum Veranstalter noch zum Ordnungsamt. Die in Bedrängnis geratene Händlerin wollte sich die Belehrung – mit Recht – nicht gefallen lassen und entgegnete der Frau mit Akzent:

„Na und? Andere verkaufen auch neue Sachen. Sind Sie vom Zollamt?“

Die Fragestellung war zwar taktisch nicht die Klügste, aber mir gefiel ihr Widerstand. Immerhin hatte sie versucht sich zu wehren, auch wenn sie ihr verbal vielleicht nicht das Wasser reichen konnte.

Die Angreiferin, die mit dieser Antwort offenbar nicht gerechnet hatte, suchte kurz nach den passenden Worten und antwortete genüsslich-triumphierend:

„Vielleeeeeeicht!“

Aus dem Augenwinkel beobachtete ich ihr suffisanten Grinsen. Zugleich blitzte in ihren Augen ein diabolisches Leuchten auf, während sie sich an der irritierten Reaktion der Händlerin ergötzte. So etwas hatte ich schon lange nicht mehr bei einem Menschen beobachtet und fand es trotz meiner weitreichenden Erfahrungen im Strafrecht gruselig.

Das Dilemma

Innerlich platzte mir zugleich fast der Kragen, denn ihre Antwort, mit der sie zielgerichtet den Schein von behördlicher Authorität fingieren und damit Angst bei der Adressatin erzeugen wollte, war reinster Bullshit und diente ausschließlich dazu, die Händlerin weitergehend einzuschüchtern. Ich hatte also die Wahl, die Frau deutlich hörbar für Dritte mit ihrem offenkundigen rassistischen und misanthropischen Grundhaltung zu konfrontieren, sie bloßzustellen und anschließend über die Strafbarkeit von Amtsanmaßung zu belehren. Aber der darauf folgende Schlagabtausch hätte mir den Marktbesuch und womöglich den restlichen Tag verhagelt und mir darüber hinaus unnötig Energie abgezogen, die ich für andere Unternehmungen vorgesehen hatte. Ich hatte noch familiäre Verpflichtungen zu erfüllen, abends wollte ich noch Tango tanzen gehen und nicht zuletzt bin ich auf meine mentale Balance bedacht. Wer im Laufe seines Lebens in viele Konflikte gezogen wurde, diese also erlebt und überlebt hat, überlegt sich ab einer gewissen inneren Reife genau, in welche ‚Arena‘ er steigt oder welche er vermeidet. Meine Interessensabwägung war insofern legitim.

Also entschied ich mich für eine andere Option: Die Angreiferin zog kurz nach ihrer frechen Antwort auch schon ihrer Wege. Ohnehin ging die Attacke sehr schnell vonstatten. Beim Gehen drehte sie sich zu ihrer Sicherheit noch einmal zum Stand um. Keine Silbe von mir. Keine Eskalation. Kein Geschrei. Keine Polizei. Einmischen musste ich mich dennoch. Statt aber die Angreiferin zusammenzufalten, begrenzte ich so gut es ging den Schaden, den sie bei ihrem Opfer vorsätzlich verursacht hatte. Zwar hatte die Händlerin versucht, sich gegen die Attacke zur Wehr zu setzen, aber mir fiel auf, dass sie anschließend destabilisiert und zermürbt wirkte.

Schadensbegrenzung

Ich tröstete sie und beruhigte sie mit dem Hinweise, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Sie gab sich cool und tapfer, aber ihre Körpersprache und Mimik sagte mir etwas anderes. Ich versicherte ihr, dass die Frau weder vom Zoll noch von sonst einer Behörde war. Sie sei nichts davon und überhaupt nicht in der Position, so mit ihr so reden. „Eine Wichtigtuerin. Ein Nobody„, fügte ich scherzhaft hinzu. Die Dame verstand diese Sprache und lächelte. Wir unterhielten uns noch ein bisschen. Sie konnte nicht begreifen, wieso sie sie überhaupt angegriffen hatte. Sie würde oft von Leuten so behandelt als wäre sie gerade erst hier in Deutschland eingetroffen, dabei sei sie seit fast 30 Jahren hier. Ich sei anders, fügte sie hinzu. Ich sei lieb.

Das brachte mich in Verlegenheit und machte mich zugleich traurig. Offenbar kannte sie sich mit Ausgrenzung nur allzu gut aus. Dies rührte wiederum alte Erinnerungen in mir selbst auf. Unangenehme Situationen, in denen repressiv mit mir umgegangen wurde. Ich gab der Dame einige abschließende Tipps für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass die Angreiferin zurückkehrte. Sodann lenkte ich das Gespräch auf andere positive Themen wie etwa Mode. Nach einer Weile hatte ich das Gefühl, dass sie sich gefangen hatte und wieder halbwegs entspannt war. Als eine weitere Kundin mit echtem Kaufinteresse auftauchte, zog ich still und leise weiter.

Reflexion

Dennoch ließ mich die Situation nicht sofort los. Ich rätselte noch ein wenig, auch darüber, was konkret der deutschen Frau widerfahren war, dass sie scheinbar Schwächere verbal attackiert.

Eines stand für mich jedoch fest: Mit Sicherheit hätte sie sich eine solche Belehrung gegenüber einer Landsfrau nicht geleistet. Und erst recht nicht bei einem physisch überlegenen Mann mit Migrationshintergrund. Da hätte frau natürlich Angst vor einer Ohrfeige oder gar einem Messer zwischen den Rippen. Aber bei einer Frau gleichen Alters und körperlicher Konstitution gab ihr die eigene Risikoabwägung offenbar grünes Licht. Mit der kann ich das machen! Der zeige ich jetzt mal, wo ihr Platz in dieser Gesellschaft ist!

Händler dieses Markts bieten übrigens nebenher in der Tat auch die eine oder andere Neuware an, was zwar regelwidrig ist, aber bis zu einem gewissen Maß toleriert wird. Es ging der Angreiferin jedoch nicht im Geringsten darum, dass die Frau mit Neuware handelte oder woher diese stammte, sondern einzig und allein nur darum, ihr ein deutliches Signal des Unerwünschtseins zu setzen. Die Frau hatte aus ihrer Sicht dort nichts zu suchen und sollte ‚weg‘ – am besten drei Meter unter die Erde. Und dies ist vermutlich nicht einmal übertrieben. Manche Menschen hegen innerlich tiefste Abgründe. Womöglich lebte die Angreiferin Lichtjahre weit an ihren (subjektiv empfundenen) beruflichen Möglichkeiten vorbei oder wurde von ihrem Mann für eine südländische Frau verlassen. Das sind natürlich nur Spekulationen, denn ich kannte die Frau und ihre Biographie nicht und auch war angesichts der Züge, die sie offenbarte, nicht im Geringsten an einem Kennenlernen interessiert.

Parallelen

Oftmals liegen solchen Ressentiments eben keineswegs logischen Erwägungen zugrunde, wie man vielleicht zunächst nachsichtig meinen könnte, sondern fußen in teilweise schweren psychiatrischen und antisozialen Störungen. Berühmtes Beispiel: Adolf Hitler. Das Beispiel wähle ich hier nicht von ungefähr. Dem Verhalten der Angreiferin liegt dieselbe brandgefährliche spießbürgerliche Mentalität zugrunde, die einst dem Nationalsozialismus sowie dem Antisemitismus Tür und Tor öffnete. Hätten Menschen wie die Angreiferin auf dem Flohmarkt tatsächlich Macht über andere, dann gute Nacht, Deutschland! Das hatten wir schon einmal. Fakt ist, dass die Mehrheit der Deutschen damals entweder Nazis, Sympathisanten oder Weggucker waren. Nur verhältnismäßig wenige starke Individuen empfanden die verübten Verbrechen als großen Unrecht und leisteten aktiv Widerstand. Schließlich war es, um es überspitzt zu formulieren, schlichtweg bequemer mit dem Strom zu schwimmen und den Arm in die Luft zu heben als sich gegen die Machthaber und Mehrheitsgesellschaft aufzulehnen und dabei seinen eigenen Kragen zu riskieren.

Die Nachfahren sind natürlich keinesfalls(!) unter Generalverdacht zu stellen und können für die Verbrechen ihrer (Ur-)Großeltern auch nichts. Aber trotz jahrzehntelanger, intensivster erzieherischer Aufarbeitung des damaligen Unrechts bis in die heutige Zeit, hat sich bei einigen leider die Idee davon gehalten, dass einige Menschen ‚hochwertiger‘ sind als andere.

Nie wieder

Leider haben diese es immer noch nicht verstanden oder verstehen wollen, dass das deutsche Volk zum Ende des Zweiten Weltkrieges großes Glück hatte, dass die Alliierten und allen voran die USA ihnen gestatteten(!), weiter zu existieren. Die Entwicklung der amerikanischen Atombombe erfolgte beispielsweise keineswegs zum Zwecke der bloßen Abschreckung. Mit der Geduld waren die Alliierten längst am Ende. Nur weil die Entwicklung länger dauerte als geplant und Nazideutschland mangels anderer Handlungsoptionen zwischenzeitlich kapitulierte, sah die US-Regierung von diesem Vorhaben ab. Strategisches Ziel war, nebenbei bemerkt, Mannheim /Ludwigshafen, um die deutsche Industrie empfindlich zu treffen. Zum Glück erwies sich dies gerade noch rechtzeitig als nicht mehr nötig. Aber nach allem was sich Deutschland damals geleistet hat – und damit möchte ich meinen Exkurs in die Geschichte besiegeln –, sollte es mit einem Minimum an Anstand, Dankbarkeit und Demut vor der Geschichte eigentlich die heilige Pflicht der Deutschen sein, sämtliches Gedankengut zu unterdrücken, welches zur systematischen Ausgrenzung und daraus resultierendem Leid führt.

Aber viele wollen leider nicht an sich selbst arbeiten. Und so sind Ausgrenzung und Rassismus Teil unserer gesellschaftlichen Realität, wie man auch am zunehmenden Erfolg der AfD unschwer beobachten kann. Und in verdeckter Form tritt er häufiger in Erscheinung als offen, was ihn nicht weniger schmerzlich für die Opfer macht. So nimmt die Gewaltspirale ihren Lauf. Umso wichtiger ist es, zumindest nicht wegzugucken und überlegt zu handeln. Handeln bedeutet nicht zwangsläufig, bei jeder kleinen Attacke selbstgerecht dazwischenzugehen. Und auf gar keinen Fall sollte man sich physisch in Gefahr bringen. Manchmal genügt es, einfach ein besseres Beispiel zu leben, um Hass und Ausgrenzung effektiv zu neutralisieren.

Ein besonderer Abend

Am Samstag, den 29. Juni 2024, besuchte ich eine Sonderveranstaltung der Milonga Poema, die erst vor wenigen Monaten von dem erfahrenen Tangopaar Georgia und Joseph sowie der Lehrerin Christina neu ins Leben gerufen wurde. Die Location befindet sich am Hauptbahnhof Heidelberg in einem ehemaligen Gebäude von Heidelberger Druckmaschinen.

Im Rahmen dieser Milonga bekamen Künstler aus der Region die Gelegenheit, ihre Kunstwerke zu präsentieren. Neben tollen Fotographien, Zeichnungen und Gemälden hatte ich die Ehre, ein kurzes Gedicht von mir zu präsentieren und in Form von Flyern zu verteilen. Dieses entstand im Rahmen meiner laufenden Arbeiten an meinem Tangoroman. Der Gedanke, dass Tangotänzer und auch andere Leute es lesen und sich eventuell sogar Gedanken darüber machen, inspiriert mich und motiviert mich zugleich, mein Buchprojekt voranzutreiben. In gedruckter Form hat das Ganze eine ganz andere Dimension als eine rein digitale Veröffentlichung. Dadurch wird es lebendiger und greifbarer. Aber nicht nur für die Leser, sondern auch für mich selbst. Seit ich dort und auch an anderen Orten verteile, fühlt es sich für mich ein bisschen so an, als hätte ich Gesellschaft beim Schreiben. Als Autor verbringt man faktisch zahllose Stunden allein an der Tastatur. Da mus man sich schon was einfallen lassen, um nicht darunter zu leiden. :–D

Hier einige wenige Eindrücke von diesem unvergesslichen Abend in Bildern:

Illustration von Kostas Valavanis zu Ehren der Milonga Poema
und ihrer Gastgeber

Die erfahrene Künstlerin Stefanie beim Aufbau ihrer Werke

Grafikdesigner und Künstler Kostas Valavanis

Mein Tangogedicht

Mein kleines Tangogedicht erstmals auf der Milonga Poema zu verteilen zu dürfen,
war für mich eine besondere Ehre
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