Bei mir daheim schüttet es gerade wie aus Kübeln. Ein Temperatursturz von 10 Grad Celsius von gestern auf heute verpasst dem Sommer 2025 einen echt ernüchternden Tritt in den Hintern. Für alle, die diesen Sonntag ebenfalls daheim sind und mit dem Regen um die Wette weinen, habe ich, wie versprochen, noch einen Beitrag in meiner Mottenkiste Glanzkiste, den ich im Januar 2023 auf Social Media gepostet hatte. Viel Spaß beim Lesen! :–)
[Ohne Titel]
In letzter Zeit haben mich Leute wiederholt gefragt, ob oder wo ich zurzeit Tangounterricht nehme.
Die Antwort ist einfach: nein bzw. nirgendwo.
Natürlich hatte ich in der Vergangenheit kompetente Tangolehrer, ohne deren Anleitung ich den Einstieg in Tango Argentino weder hätte finden noch das nötige Fundament hätte bilden können. Aber seit zweieinhalb Jahren besuche ich tatsächlich keinen regulären Unterricht auf meinem eigenen Niveau. Stattdessen habe ich mehrere Anfängerkurse besucht und einige Einsteiger bei ihren ersten Schritten begleitet.
Um selbst voran zu kommen, hatte ich im vergangenen Jahr jedoch, um das mal kurz zu überschlagen, eine Privatstunde sowie ein paar Einheiten in Solo-Technik bei meinem Primärlehrer, habe anderenorts als Gastdame eine Einheit in einem Kurs in Musikalität besucht und war kurzzeitig zu Besuch in einer griechischen Tangoschule. Zurück in Deutschland beschränkte sich mein Unterricht in der zweiten Jahreshälfte auf lediglich zwei erlesene Workshops bei einer kompetenten Gastlehrerin, wobei mich die Themen besonders interessierten. Das war’s. Im Vergleich zu anderen Lernenden ist das eine magere Ausbeute.
Warum nicht mehr Unterricht? – Ganz einfach, ich habe keinen festen Tanzpartner und für Tango braucht es bekanntlich zwei. Für eine dauerhafte Tanz- und Trainingspartnerschaft wollte es menschlich leider nie so recht passen.
Oft bestehen oder entstehen da gewisse Erwartungshaltungen, die über das Tanzen hinausgehen. Kann und möchte man diesen nicht entsprechen, weil das Interesse z.B. rein platonischer Natur ist oder man sich gerade in einer glücklichen Beziehung befindet, bekommt die Verbindung automatisch ein Verfallsdatum und endet oft früher als ursprünglich gedacht. Sich rein freundschaftlich miteinander zu befassen, mit der Zeit näher kennenzulernen und den Tango gemeinsam zu erkunden und zu üben etc. genügt als Anreiz leider oft nicht. Viele Menschen scheinen einfach sehr stark und aggressiv mit ihrem Wollen und ihrer persönlichen Bilanz beschäftigt zu sein. Der Tanzpartner oder die Tanzpartnerin soll möglichst Personalunion für sämtliche Bedürfnisse sein. Schließlich ist die Quality Time begrenzt. Echte Wertschätzung? – Fehlanzeige! Ist man nicht willig, ist man schnell austauschbar. Das Investment muss sich lohnen, sonst lässt man das ‚Projekt’ fallen und wendet sich anderen zu. Business as usual eben.
Nach einigen menschlichen Enttäuschungen stand ich irgendwann desillusioniert vor der Entscheidung, entweder den Traum vom Tango zu begraben, wodurch alle meine bisherigen Bemühungen und Investitionen vergeblich gewesen wären. Oder aber ich müsste einen alternativen Weg finden, um Tango – ohne Joch(!) – zu praktizieren. In einer Phase längerer Abstinenz wurde mir bewusst, dass der Tango ein großes Vakuum hinterließ und ich nicht darauf verzichten konnte. Also entschied ich mich, einen alternativen Weg für mich zu suchen. Zum Glück mit Erfolg, denn ohne diese energiezehrenden zwischenmenschlichen Konflikte kann ich mich endlich auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich auf das Tanzen, und bin im Tango zufriedener als je zuvor.
Seither lerne ich, indem ich andere Tänzer und Paare in der Ronda beobachte, daheim Tanzvideos analysiere und nach und nach in der Ronda Dinge umsetze, von denen ich glaube, sie verstanden zu haben. Ich mache sie zwar zunächst viele Male falsch, bevor sie sich irgendwann richtig anfühlen. Aber dann freue ich mich umso mehr. Das einzige Feedback, das ich seit geraumer Zeit habe, ist das meiner Tanzpartner auf Milongas und Tango-Marathons. Ein bisschen fehlt mir die Kritik eines richtigen Meisters schon. Wenn aber jemand sichtlich Freude daran hat, mit mir zu tanzen und sogar ein zweites Mal mit mir tanzen möchte, ist das das schönste Feedback.
Im Grunde entwickele ich mich also ausschließlich by doing weiter. Das bedeutet nicht, dass ich gar kein Konzept habe. In letzter Zeit mache ich begleitend Technikübungen daheim für mehr Beweglichkeit, Kraft und Stabilität. Durch eine Erkrankung meinen Bewegungsapparat betreffend fällt mir das alles nicht leicht. Aber auch wenn ich kerngesund und voll belastbar wäre, würde ich anderen Lernenden nicht unbedingt dazu raten, es mir gleich zu tun, einfach weil diese Lernmethode sehr zäh und langwierig ist. Aber für mich fühlt es sich richtig an. Ich bin frei. Und es gibt mir ein gewissen Kick zu erforschen, ob es mir auch ohne Unterricht gelingt, mich zu verbessern. Wie ein spannendes Experiment, bei dem ich gleichzeitig Wissenschaftlerin und Probandin bin.
Am Anfang war es nur eine Not. Dann wurde daraus eine Art Überzeugung. Ich lehne Gruppen-Unterricht allerdings nicht grundsätzlich ab. Keineswegs. Es ist wichtig, dass es dieses Angebot gibt. Ich habe lediglich ein Problem mit dem Erfordernis der festen Tanzpartnerschaft und würde mir wünschen, dass im Unterricht nur Individuen und keine Pakete erscheinen und bei den Übungen munter durchgewechselt wird. So wäre jeder frei und unabhängig z.B. von den Befindlichkeiten und der zeitlichen Disposition eines Partners. In meiner Gegend gibt es unter den qualifizierten Tangoschulen keine, die gegenwärtig ein solches Angebot aufweist.
Bisher behielt ich meine Lernmethode weitestgehend für mich. Aber wenn ich auf Nachfrage meine Beweggründe offenlege, fühlen sich viele Tänzer motiviert, meinen Standpunkt zu torpedieren und mir ihren eigenen aufzudrücken. Als fühlten sie sich durch die Art, wie ich das handhabe, irgendwie angegriffen. Vermutlich finden es einige anmaßend, inmitten des herrschenden Personenkultes, der um die Meister rankt und auf deren Lehren viele ihr Existenzrecht in der Ronda gerne mit stolzer Arroganz ableiten, wenn jemand Tango im Selbststudium zu erlernen versucht. Dabei ist das nicht im Geringsten meine Absicht, irgendjemanden zu schmähen und meine Methode tut auch niemandem weh, naja, außer vielleicht dem einen oder anderen Ego, aber für die problematische Innenwelt anderer Tänzer bin ich nicht verantwortlich. Ich mache einfach nur entspannt mein Ding….
Viele Leute nehmen das alles einfach viel zu ernst. Letztendlich sollte man nicht vergessen, dass es hier nur um Tango geht, zugegeben dem schönsten Paartanz der Welt, aber nicht etwa um Religion, Politik oder um die Zukunft der Menschheit.
Gegen gute oder gut gemeinte Tipps von anderen Tänzern habe ich überhaupt nichts und höre mir alles zumindest interessiert an. Aber immer öfter begegnen mir Leute einfach nur von oben herab und angriffslustig. Oft höre ich Dinge wie „Niki du brauchst einen guten Tanzpartner!“ Oder „Geh in diese oder jene Schule. Da lernst du Tango!“ Als erhielten sie dort eine Provision fürs Anwerben.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute einem nicht zuhören oder zuhören wollen… Wenn man selbst in einer soliden Tanzpartnerschaft eingebettet ist, in welcher man sich gut entwickelt (und vielleicht noch andere Vorzüge genießt), will man das natürlich nicht auf den Prüfstand stellen. Nach dem Motto: lllääääuft…!
Aber für mich läuft es so eben nicht. Mir gibt übrigens auch der Gedanke nichts mehr, einen festen Tanzpartner zu haben. Da müsste ich ständig auf der Hut sein, dass eine andere Frau ihn mir nicht ausspannt. Dieser Kampf wird durch die herrschende Unterrichtspraxis gefördert. Diese stelle ich generell in Frage und adressiere meine Appelle an qualifizierte und erfahrene Tangolehrer. Und mittlerweile weiß ich genau, dass ich damit nicht alleine bin und es auch andere Leute gibt, die meinen Standpunkt teilen und Tango auf ähnliche Weise praktizieren und kultivieren. Das gibt mir Kraft und Mut, mir selbst und meinem eigenen Urteil zu vertrauen.
Da ich nicht mehr über jedes Stöckchen hüpfen mag, weiche ich bestimmten Gesprächsentwicklungen mittlerweile lieber komplett aus. Zurufe von vorbeiziehenden Schiffen bringen mir nichts und ignoriere ich inzwischen. Als Solo-Lernende wirkt man oft irgendwie orientierungslos und lädt unbewusst zu möchtegern-klugen Ratschlägen ein. Ich habe da sicherlich hin und wieder gewisse Unsicherheiten und durchaus einen Bedarf an hilfreichen Tipps durch erfahrenere(!) Tänzer. Aber ich suche lieber Orientierung bei Leuten, die nicht bloß kurz stehen bleiben, um sich oder ihre favorisierte Schule zu promoten, sondern ein aufrichtiges Interesse zeigen, sich näher mit mir befassen wollen und zwar vertikal – nicht horizontal.
Manchmal fehlt mir aber wie gesagt durchaus das Feedback eines Lehrers oder Mentors. Deshalb habe ich mich spontan entschieden, nächste Woche mal wieder in einen Kurs reinzuschnuppern. Allerdings möchte ich vor allem das Lehrerpaar kennenlernen, zumal es auch Privatunterricht anbietet und das eine Option für mich sein könnte Da ich immer nach neuen Impulsen Ausschau halte, ist mir grundsätzlich jede Begegnung im Tango willkommen, die auf Augenhöhe erfolgt und freue mich über jeden Tänzer, für den Tango nicht bloß Mittel zum Zweck ist, sondern Selbstzweck.
Wer tatsächlich bis hierher gelesen hat, hat sonntags offenbar echt nichts Besseres zutun…. Also keine Ahnung, was Ihr noch so vorhabt, aber ich geh‘ jetzt zum Tango!
Nachtrag: Bei dem erwähnten Lehrerpaar habe ich dann doch keinen Unterricht genommen. Menschlich machte es einen sympathischen Eindruck. In Kompetenz und Didaktik konnte es mich jedoch leider nicht überzeugen. Der männliche Lehrer beherrschte die deutsche Sprache zudem nur unzureichend und die englische auch nur mit starkem Akzent.