So lautet mein aktuelles und mittlerweile drittes Tango-Mantra. Das Erste war nicht ganz jugendfrei und das Zweite philosophisch. Dieses hier ist vergleichsweise pragmatisch und wird sicher nicht das Letzte sein. Es hilft mir jedenfalls, mich im Tango zu erden und erinnert mich darüber hinaus auch daran, ihn generell nicht allzu ernst zu nehmen.
Tango hat das Potenzial, das Denken und Fühlen der Praktizierenden stark zu beherrschen. Ähnlich wie Alkohol oder Drogen. Um mich nicht vom Tango versklaven zu lassen oder mich samt meiner Zielsetzungen und Träume in diesem Labyrinth zu verlieren, erscheint es mir sinnvoll und richtig, hin und wieder – sowohl innerlich und als auch äußerlich (z.B. durch Abstinenzphasen) – ein Stück auf Distanz zu gehen. Nur so kann ich ihn immer wieder aufs Neue kennen-, schätzen- und lieben lernen….
Wir schreiben das Jahr 2025 und *Trommelwirbel* unser Planet „steht“ noch! Wir haben allerdings immer noch keine fliegenden Autos im 3D-Verkehr, immer noch keine Hoverboards uuund wir haben uns immer noch nicht ausgerottet! :–D Yeaaahhhh! Nicht, dass die Menschheit es nicht versuchen würde…. Wäre das nicht Grund genug um zu feiern? Wieso feiern wir überhaupt den Jahreswechsel? Glauben wir, dass das neue Jahr besser wird als das alte und begießen es deshalb? Werden dadurch die Probleme Schlag Mitternacht automatisch Schnee von gestern? Neues Jahr = neues Glück?
Also über den Sinn des Unterteilens von Lebensabschnitten und Zeit will ich gar nicht streiten. Die Menschen klammern sich gerne an bestimmte Strukturen und Konstrukte, selbst wenn eigentlich niemand so genau weiß, was Zeit bzw. Raumzeit ist. Astronomisch hat das Kalenderjahr fraglos zwar seine Grundlage. Allerdings würde ich nebenbei bemerkt dafür plädieren, den gregorianischen Kalender durch den neojulianischen zu ersetzen, einfach weil dieser präziser mit dem Sonnenjahr korreliert.
Den Jahreswechsel feiere ich übrigens bevorzugt fröhlich und ausgelassen, aber vor allem auch deshalb, weil man das neugeborene Jahr im Feuer taufen darf. Ja, ich liebe Feuerwerk und besonders Batterien mit schönen optischen Effekten. Der Lärm an sich ist da für mich weniger ausschlaggebend. Für mich ist das Zünden von privatem Feuerwerk einfach Tradition, welche, verantwortungsbewusst gelebt, viel Freude bereitet. Allerdings beobachte ich auch leider immer öfter problematische Individuen, die getarnt in der dunklen Silvesternacht und den zahlreichen Detonationen ihren Gewaltphantasien freien Lauf lassen, indem sie arglose Nachbarn und Passanten feige aus dem Hinterhalt heraus mit Feuerwerkskörpern attackieren. Als befänden sie sich bei Jahreswechsel in einer rechtsfreien Zwischendimension. Da habe ich auch schon selbst negative Erfahrungen gesammelt und treffe entsprechend Vorsorge meinen Selbstschutz betreffend.
Seit dem ursprünglich pandemiebedingten Verbot der Überlassung von Pyrotechnik der Kategorie F2 an Verbraucher in den Jahren 2020 und 2021 wird jedes Jahr vermehrt ein generelles Verbot von privatem Feuerwerk diskutiert. Nichts gegen einen gepflegten Meinungsaustausch, aber irgendwie erscheint mir die Debatte um das Böllerverbot zunehmend konstruiert. Man kann über alles diskutieren und ich persönlich bin auch nicht immun gegen gute Argumentation. Mit dem moralischen Narzissmus mancher Feuerwerksgegner, die ihren zwanghaften Geltungsdrang und ihre Herrschsucht nur hinter vernünftig anmutenden Argumenten verbergen, denen aber in Wahrheit die feinstaubbedingte Umweltbelastung oder der Stress der Tiere durch den Lärm völlig gleichgültig sind, habe ich hingegen ein Problem. Ungeachtet dessen halte ich nichts davon, diese Tradition autoritär einzustampfen und zwar aus verschiedenen Gründen nicht. Einer davon ist die illegale Anschaffung von teils gefährlichen Feuerwerksprodukten aus dem Ausland, die damit gefördert würde. Aber es gibt noch viele weitere. Sicherlich gäbe es Kompromisse, die bisher weder erwogen noch ausgeschöpft wurden. Aber genug hiervon.
Ein Freund hat mir neulich eine WhatsApp geschickt. Er machte sich Sorgen, weil ich mich schon länger nicht gemeldet hatte und auch keine neuen Blogposts veröffentlicht hatte. Nun, die Vor-/Weihnachtszeit hatte ich genutzt, um mich entspannt und bewusst überwiegend offline im Kreise meiner Familie zu erholen. Da es mir an nichts fehlte und ich eine tolle Zeit genoss, hatte ich keine Zeit zum Bloggen und auch kein besonderes Mitteilungsbedürfnis. Mittlerweile bin ich jedoch unweigerlich aus meiner heilen Welt erwacht. Die Weihnachtsdeko lasse ich allerdings noch etwas hängen. Zum Einen, weil sie mir einfach gefällt und zum Anderen möchte ich am alten Jahr noch ein wenig länger festhalten.
Viele Leute fassen sich zum Jahresanfang gute Vorsätze. Aber das ist eine Illusuion, eine Selbsttäuschung. Denn das neue Jahr führt diese nicht zum Erfolg, sondern man muss sie schon selbst aktiv umsetzen. Insofern macht es keinen Unterschied, ob man sich etwas zum 1.01. oder an irgendeinem anderen Datum vornimmt. Der Nikotinentzug oder das Abnehmen werden nicht leichter, nur weil man ihn zum Jahresbeginn plant. Da mir alle meine Laster inzwischen längst ausgegangen sind, habe ich mir meinen Lifestyle betreffend nichts Konkretes vorgenommen, außer vielleicht meinen persönlichen Kurs fortzusetzen und auf meine Liebsten und mich achtzugeben.
Im neuen Jahr angekommen, beschleicht mich nämlich das ungute Gefühl, dass große Pläne nicht viel Sinn machen, dieses Jahr in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht schlechter wird als das vorherige und man als Bürger von daher mit seinen Energiereserven klug haushalten sollte. Mein Pessimismus rührt nicht daher, dass heute Donald Trumps Amtseinführung stattfand. Wobei seine Wiederwahl unglaublich ist! Aber ich möchte es mal diplomatisch ausdrücken: jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient. Punkt.
Vielmehr stört mich in diesem Kontext, dass wir hierzulande ständig darüber diskutieren, was die USA treiben. Als würden sie uns in Europa mitregieren. Auch in anderen Länder gibt es interessante und erwähnenswerte Entwicklungen, über die die Medien kaum ein Wort verlieren. Trump will doch America great again machen. Bittesehr. Ich habe damit überhaupt kein Problem, sofern wir in Europa nicht gleichzeitig kleingemacht werden sollen. Bei solchen ambitionierten Bestrebungen müssen wir aber doch nicht aktiv mithelfen, oder? Sollten wir unsere Nasen, unabhängig davon, nicht zur Abwechslung mal in unsere eigenen Angelegenheiten stecken? Haben wir etwa in Deutschland, Griechenland, Frankreich usw. nicht unsere jeweils landeseigenen „Baustellen“, die wir stattdessen anpacken sollten?
Am 23. Februar wird der Bundestag gewählt und die Umfragewerte würde ich nicht als prickelnd bezeichnen. Mit etwas Pech regiert bald eine rechte Partei mit. Zwar behaupten (fast) alle anderen Parteien, dass sie nie mit der AfD koalieren würden, aber wenn die Macht erst einmal zum Greifen nahe ist, werfen manche Menschen ihre moralischen Bedenken schnell über Bord. Überraschen würde es mich jedenfalls nicht. Man sollte den Teufel zwar nicht an die Wand malen, aber nie wieder ist vielleicht schon früher als wir dachten… Offenbar wachen einige Politiker langsam auf. Wie ich beim Verfassen dieses Beitrags nebenher lese, soll der Bundestag nächste Woche über ein Parteiverbot beraten. Etwas spät, wenn man mich fragt….
Je näher man sich die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen unter die Lupe nimmt, desto unglücklicher erscheint mir die dahinterstehende Kausalkette. Ein bisschen erinnert das Ganze an eine Massenkarambolage auf einer vereisten, voll ausgelasteten fünfspurigen Autobahn. Das Unglück wurde nach meiner Einschätzung mit dem Bruch der FDP mit der Ampel in Gang gesetzt. Wobei man bereits die Bildung der Ampelkoalition selbst anzweifeln könnte. Wie wir gesehen haben, verderben zu viele Köche den Brei. Aber bleiben wir beim Bruch. Das Timing war aus meiner Sicht jedenfalls sehr ungünstig: Wäre die Regierung für den Rest der Legislaturperiode fortbestanden, so wäre zumindest noch ausreichend Zeit geblieben, ein besseres Fundament für ein entsprechendes Verbotsverfahren zu bilden. Aber mit diesem Schnellschuss wird das vermutlich nix. Gerne würde ich mich da täuschen. Der Geist scheint jedenfalls längst aus der Flasche. Anstatt dies zu erkennen und zu verhindern, haben wir uns die ganze Zeit bevorzugt den Problemen anderer Länder gewidmet und uns mit anderen Themen beschäftigungstherapieren lassen. Saubere Leistung!
Wäre diese in Gang befindliche Karambolage jedenfalls eine Szene aus einem Actionstreifen, könnte wir einfach wegsehen bis das Grauen vorüber ist. Aber leider ist sie Realität. Ich erlaube mir mal kurz, weiter vorzugreifen: Falls der Worst-Case eintreffen sollte, die Demokratie im weiteren Verlauf zu Fall gebracht wird und Menschenrechte bestenfalls kleingeschrieben werden, benötigen wir hier in Deutschland und Europa möglicherweise wieder Hilfe. Hilfe von Freunden. Von Russland können wir nicht viel erwarten; Deutschland hat den Russen längst und nachhaltig die Freundschaft aufgekündigt. Diese haben im Zweiten Weltkrieg außerdem schon genug Leben geopfert, um Europa vom Faschismus zu befreien, auch wenn sich derzeit kaum jemand mehr für Geschichte oder Fakten interessiert. Der Verbleib von TikTok etwa ist ja auch so viel interessanter…. Aber unsere amerikanischen Freunde könnten uns – mit gewohnt eleganter Verspätung – theoretisch zur Hilfe eilen und aus der Patsche helfen, falls nötig, aber Trump ist versierter Geschäftsmann und das würde er sich sicherlich einiges kosten lassen. Dann würden wir im Gegenzug am Ende doch noch mitregiert. Schachmatt.
Ach Ihr Lieben…. politische Gedankenspiele stimmen mich im Moment eher pessimistisch. Idealerweise sollten wir mit einem Quäntchen Menschenverstand erst gar nicht in der Patsche landen. Unsere Freiheiten zu verteidigen und unsere Demokratie zu beschützen ist nicht schwer, solange wir die Chance nutzen und es jetzt tun. Das geht noch(!) völlig friedfertig und unblutig, indem wir ganz einfach wählen gehen und dabei hoffentlich die richtige Wahl treffen.
Was auch immer uns die Zukunft bringt, ich wünsche Euch ein glückliches Jahr 2025!
Stellt Dir vor, es ist Milonga und keiner geht hin. Keiner außer Dir und eine weitere Person, wie etwa Deine Begleitung oder vielleicht jemand Fremdes, den Du angenehm findest und mit dem Du grundsätzlich tanzen möchtest. Das Parkett glänzt, die Beleuchtung ist stimmungsvoll, der DJ sitzt artig am Pult und die Musik spielt. Alles ist perfekt. Nur die anderen Gäste fehlen. Würdest Du unter dieser Prämisse in der für Dich gewohnten Dauer dieser Milonga beiwohnen und auch die Anzahl von Tandas tanzen, die Deinem Durchschnitt entsprechen?
Nein? Warum nicht? Wie viele verschiedene Tanzpartner benötigst Du denn, damit die Milonga für Dich befriedigend ist? Oder anders gefragt: Ist der Genuss für Dich gemindert, wenn Du keine Aussicht darauf hast, schon bald in die Arme des nächsten Tanzpartners zu versinken? Wieviele Tänzer braucht man denn generell, um Tango zu tanzen? Und wieviele konkret, damit von einem sog. Social Tango die Rede sein kann? Wie viele Paare müssen auf der Piste sein, um eine Ronda bilden zu können? Gibt es da eine Mindestzahl? Wäre es denn überhaupt eine Milonga, wenn nur zwei Gäste anwesend wären? Was definiert die Milonga? Ist sie als soziale Begegnungsstätte für das Ausleben von Tango unabdingbar? Oder kann man den Tango nicht ebenso gut auch nur zu zweit leben? Und was ist eigentlich Zeit…?
Symbolbild „Two little dancers“ von John-Drysdale
Zugegeben, die letzte Frage hat hier nix verloren. :–P Ich wollte nur mal checken, ob Du noch da bist. Die Aufmerksamkeitspanne der Menschen scheint generell immer kürzer zu werden. Kein Wunder bei dem vielen Input.
Autonomie
Dieser Beitrag beabsichtigt nicht, all die oben aufgeworfenen Fragen detailliert und gesichert zu beantworten. Auch sollen sie keine Anklage darstellen. Ich möchte andere Tangotänzer lediglich dazu ermutigen, sich nicht von anderen wie etwa Profis, Lehrer oder Vorbildern der Szene vorkauen zu lassen, was genau Tango bedeutet und wie man ihm am besten fröhnt, sondern sich auf eine eigene, autonome Entdeckungsreise zu begeben. Besonders als Anfänger ist man sehr anfällig für Lehren, aber ebenso auch Irrlehren. Tango ist nicht per copy and paste zu erobern, auch wenn Nachahmung den Lehrer ehren mag, sondern eine sehr persönliche Sache, nämlich ein künstlerisches Sprachrohr der individuellen Persönlichkeit. Eure Idole können Euch also nur die Tür zeigen. Aber hindurchgehen müsst Ihr letztendlich alleine. ;–) Und genauso müsst Ihr alleine, also selbständig den Tango und seine mannigfaltigen Möglichkeiten erforschen, um eines Tages vielleicht ‚Erleuchtung‘ zu erlangen.
Dies bedeutet konkret, Strukturen, Definitionen und Begebenheiten, die uns als unerschütterlich serviert werden, zumindest hin und wieder auf den Prüfstand zu stellen und auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Allgemeingültigkeit hin zu hinterfragen. Denn nichts von dem, was wir im Tango gewohnheitsmäßig als Tradition verstehen, ist tatsächlich in Stein gemeißelt. Allenfalls gibt es eine Art Konsens unter Tangotänzern sowie Tangokulturschaffenden, den es zu respektieren gilt, d.h. wenn man diesen Personenkreisen angehören möchte. Aber realistisch betrachtet ist wohl kaum jemand unter diesen vermeintlichen Galionsfiguren Zeitzeuge der Geburtsstunde des Tango. Und selbst diejenigen, die die Geschichte des Tango eingehend studiert haben und diese als Experten weitertragen, formen sie selektiv nach ihrem eigenen ganz persönlichen Geschmack. Das geschieht unbewusst.
Kurzes Beispiel: die Ronda. Überall lernt man, sozial würde Tango ausschließlich gegen den Uhrzeigersinn in konzentrischen Bahnen getanzt werden. Demzufolge gilt die nicht einhalten als regelwidrig und unsozial. Aber nach meinen Recherchen entspringt diese Ordnung dem Wiener Walzer und wurde lediglich auf den Tango übertragen. Demnach wäre die Ronda ein österreichischer Einfluss. Dies lässt logisch den Schluss zu, dass die Paare in den frühen Anfängen entweder einer anderen Ordnung folgten, oder, was wahrscheinlicher erscheint, nach Belieben kreuz und quer durch den Raum tanzten. Bei gegenseitiger Rücksichtnahme ist dies durchaus praktikabel.
Mein Appell geht aber nun keineswegs dahin, sich bezüglich aller Riten und Gepflogenheiten grundsätzlich in Opposition zu stellen. Das Rad wurde bereits erfunden und es läuft soweit ganz gut! Würden wir ausnahmslos alle Riten, Begebenheiten, Definitionen und Regeln aushebeln, wäre der Tango irgendwann bis zur Unkenntlichkeit verwässert und hätte mit seinen argentinischen und uruguaischen Wurzeln nicht mehr viel gemein. Was genau Tradition ist, entschlüsselt man am besten im lebendigen Austausch miteinander.
Um ihn also besser zu begreifen, kommen wir nicht umhin, ein besonderes Augenmerk auf uns selbst werfen. Schließen sind wir es, die die Maßstäbe setzen.
Wir im Tango
Wir als Tangobegeisterte, also Tangotänzer, Musiker, Veranstalter, DJs, Lehrer etc. bilden soziale Sphären, in denen wir uns immer wieder begegnen. Aber was bedeutet dies konkret. Sind wir bloß Teil einer losen Menge? Oder vielleicht eine Art Gang? Sind wir strukturiert und geordnet? Hierarchisch organisiert oder vielmehr chaotischer Natur? Pack schlägt sich – Pack verträgt sich?
Oft ist ja die Rede von der „Tango-Community„, die hochgehalten wird und nach einhelliger Überzeugung möglichst breit aufgestellt florieren sollte. Keine Ahnung, warum wir überhaupt einhellig diesen Anglizimus verwenden. Ich beoachte da ein besorgniserregendes Sprachdefizit in der deutschen Tangoszene. Viele Tänzer in der Community, die bereits seit Jahren hier leben, beherrschen kein oder kaum Deutsch oder haben es nicht sehr eilig mit dem Lernen. Ich mag die englische Sprache ja auch und verwende auch oft Anglizismen, wo die Alternativen unpassend erscheinen, aber de facto ist sie hierzulande keine Amtssprache. Spanisch würde da definitiv mehr Sinn ergeben als Englisch, zumal dies die Fachsprache des Tango ist. Aber gut, bleiben wir ruhig dabei. In der Community werden munter Werte und Regeln postuliert, oft jedoch offenkundig nicht immer konsequent gelebt, d.h. aktiv mitgetragen. Wie zum Beispiel Integration. Würde sie ausnahmslos engagiert und wohlwollend praktiziert werden, würden uns nicht immer wieder Berichte erreichen von Tänzern, die sich einsam, nicht gewertschätzt, von der Gemeinschaft ausgeschlossen fühlen und im letzten Schritt ihr Leiden beenden, indem sie das Exil suchen.
Big family?
Diese Tango-Community ist unstreitig von einem mehr oder weniger starken Wir-Gefühl gekennzeichnet ist. Manche Mitglieder romantisieren die Gemeinschaft deshalb als Familie, insbesondere solche, deren sozial-familiäre Verhältnisse zerrüttet sind. Sie neigen naturgemäß dazu, im Tango eine Art Ersatzfamilie erblicken. Aber den Tatsachen entspricht dies meist nicht und nur selten sind Beziehungen dauerhaft oder annährend so tiefgreifend, wie es bei biologischen Verwandschaftsverhältnissen gemeinhin zu beobachten ist.
Beispiel: Bekommt eine Tänzerin oder ein Tanzpaar ein Kind, so jubeln viele Mitglieder den Zuwachs, der dann nicht selten auf Milongas präsentiert wird. Aber beim Jubeln und gutgemeinten Bekundungen sowie großzügig anmutenden Hilfsangeboten bleibt es in den meisten Fällen dann auch. Denn in der Regel übernimmt die Gemeinschaft keine nennenwerten erzieherischen Verpflichtungen gegenüber diesem ’neuen Mitglied der Tangofamilie‘ oder sichern es gar wirtschaftlich ab. Insofern sind Statements, die ein familiäres Miteinander postulieren, meist nur Schall und Rauch. Mehr als ein paar Tipps und Theorie sollte man da insofern nicht erwarten. Viele Menschen, und das gilt gesamtgesellschaftlich und keineswegs nur für den Tango, möchten Wärme und Geborgenheit empfangen und sich getragen fühlen, sind aber gleichzeitig kaum bereit, andere ebenso aufzufangen und zu tragen. Man ist sehr darauf bedacht, schwarze Zahlen zu schreiben. Genommen wird insofern gerne und großzügig – das Geben beschränkt sich in der Realität auf die herzliche Umarmung und diese endet auch schon mit dem Einspielen der Cortina. Über Missstände auf Milongas, die im Grunde Missstände in der Community sind, habe ich hierbereits ein wenig berichtet.
Wahre Freunde
Wenn die Gemeinschaft also keine Familie ist, so könnte man in ihr auf den ersten Blick einen großen Freundeskreis erblicken. Natürlich bilden sich innerhalb der Tango-Community Freundschaften, aber die Communities sind groß und überschneiden sich mit anderen. Klare, scharf abgegrenzte Personenkreise gibt es insofern nicht. Folglich ist nicht jeder Tänzer, den man flüchtig oder womöglich noch gar nicht kennt, automatisch ein Freund. Lediglich das Potential ist vorhanden. Nicht mehr und nicht weniger. Gleichermaßen das Potential einer Feindschaft, wohlbemerkt. Sich etwa gegenseitig den Trainingspartner auszuspannen, gehört leider auch zum Tango. Konkurrenzdenken und daraus resultierende Intrigen sind keineswegs dort seltene Phänomene, sondern an der Tagesordnung. Viele Mitglieder offenbaren eine beachtliche kriminelle Energie, wenn es darum geht, selbst voran zu kommen oder andere zu übervorteilen. Das ist Teil der dunklen Seite des Tango.
Angeachtet dessen, benötigen Vertrauen und Liebe, die eine Freundschaft kennzeichnen, üblicherweise Zeit sowie Energie um überhaupt zu gedeihen. Viele Mitglieder investieren sie gar nicht ernst mühsam, sondern gehen direkt über in eine Art Instant-Freundschaft, in welcher man die Vorzüge einer intimen und vertrauensvoll anmutenden Verbindung zwar genießt und großzügig Umarmungen austauscht, aber bei genauerem Hinsehen meist nur an der Oberfläche verweilt. Denn öffnet man sich hingegen wirklich einem anderen Menschen, impliziert dies nicht nur die Offenlegung der Lebenerfolge, sondern auch der Misserfolge, was letztendlich verwundbar macht. Das Risiko gehen immer weniger Menschen leichtfertig ein. Lieber zeichnet man ein bestimmtes Bild von sich vor, ähnlich wie auf Social Media.
In der Tango Community ist das nicht wirklich anders. Die Leute gieren geradezu nach Glanz und Glamour, nicht nach unschönen Fakten oder stimmungskillenden Schicksalsschlägen. Davon will man nichts hören. Tango will schließlich gefeiert werden, nicht betrauert. Wir sind keine Trauergemeinde! Übrigens ist die Milonga ein prima Ort, um die Flucht zu ergreifen und in der Menge abzutauchen, wenn ein Gespräch unangenehm oder langweilig wird. Schließlich wollen die meisten Besucher ihre Energiereserven dort auffüllen und nicht entleert bekommen. Diese Möglichkeit hat man im eingehenden Szenario natürlich nicht. Da bleibt nur die vollständige räumliche Flucht.
Surrogates
Einige unter euch Tangotänzern denken sich nun vermutlich: „Moment mal, ich habe viele Freunde im Tango! Außerdem dreitausend Kontakte auf Facebook. Ich verabrede mich auch gerne mit meinen Leuten. Sie sind real.“ Klar sind es echte Menschen, mit denen wir da verkehren. Nicht etwa „Surrogates“ wie im Film mit Bruce Willis. Das stelle ich auch überhaupt nicht in Abrede. Aber wir sind auch nicht soooo weit von dieser Dystopie entfernt, wie wir glauben: Zwar schicken wir nicht unsere hochentwickelten Roboter, die mit uns verlinkt sind, hinaus in die Öffentlichkeit, aber wir tragen dennoch Masken im Umgang miteinander. Frag Dich doch einmal selbst: Wie viele Deiner Tangofreunde kennen Dich wirklich? Wieviele glaubst Du, umgekehrt genau zu kennen?
Bleiben wir bei den Fakten: Was die vermeintliche Freundschaftspflege anbelangt, drehen sich die meisten Verabredungen irgendwie ausschließlich um den Tango, als wäre er unsere einzige Existenzebene. Aber Tango ist, realistisch betrachtet, nur ein kleines Puzzelteil davon. Tänzer treffen selten einfach nur so auf einen Kaffee oder einen Restaurantbesuch, zumindest nicht ohne dass davor oder danach getanzt wird oder ohne dass der Tango zumindest thematisiert wird.
Ich selbst genieße es übrigens auch, mit kultivierten Leuten über Tango zu reden, aber genauso und vielleicht sogar etwas mehr genieße ich es, mit ihnen über alle möglichen anderen Themen zu philosophieren und bewusst einen großen Bogen um die gemeinsame Leidenschaft zu machen. Das finde ich irgendwie reizvoll. Solche Gespräche sind für mich die fruchtbarsten, denn damit tritt man gemeinsam mit dem Dialogpartner den Beweis an, dass man ein Leben neben, vor oder hinter dem Tango hat, das ein Gespräch wert ist. So fühlt man sich als ganzer Mensch wahrgenommen und gewertschätzt, nicht eben nicht nur als Tango-Surrogate.
Zwischenfazit
Aber für die meisten geht nunmal Kuscheln klar vor echtem und lebensnahem Austausch. Nach meiner persönlichen Erfahrung und Beobachtung sind die meisten freundschaftlichen Verbindungen bis auf ein paar Ausnahmen jedenfalls keine wahren Freundschaften, sondern vielmehr solide Bekanntschaften. Vielleicht vergleichbar mit geschätzten Klassenkameraden. Nicht zuletzt lernen wir ja auch gemeinsam.
Im Zwischenergebnis sind wir also weder ein Familienclan noch ein überdimensionierter Freundeskreis. Aber was sind wir dann?
Wenn das Brot immer nur auf die Butterseite fällt, ist man womöglich verflucht! Zurzeit plagt mich eine Pechsträhne, die irgendwie nicht abreißen will. Deshalb habe ich entschieden, den Titel dieses Beitrags abzuändern und werde ihn updaten, solange bis Ruhe einkehrt.
Pleite Nr. 1
Gestern, am 27.06.2024 kam von der Reederei eine Nachricht, dass die von mir gebuchte Überfahrt von Italien nach Griechenland für diesem Sommer nicht wie geplant in Patras endet, sondern schon früher in Igoumenitsa. Wer mich ein bisschen kennt weiß: das hat mich maximal genervt…..
Würde ich als Konsequenz auf einen anderen Termin ausweichen, müsste ich mit meiner Begleitung mit Luftmatratze und Schlafsack auf dem Gang schlafen, da um den Anreisezeitraum alle Kabinen ausgebucht sind. Früher als Jugendliche fand ich die Deckpassage abenteuerlich. Bei klarem Sternenhimmel und Wind um die Nase war ich sogar happy. Eine kleine Anekdote habe ich euch hier bereits erzählt. Meine letzte Überfahrt auf dieser Route liegt mittlerweile aber viele Jahre zurück. Deckpassage kommt für mich heute nicht mehr in Frage. Ich bin nicht mehr die Jüngste und meine Knochen stecken eine Übernachtung auf dem Boden nicht mehr so gut weg. Nach einer rund zehnstündigen Autofahrt über die Schweiz möchte ich anschließend doch lieber in ein Bett fallen. Frühzeitig hatte ich mir daher eine Außenkabine gesichert.
Und nun das. Ich wurde automatisch auf die geänderte Route umgebucht. Wahrscheinlich werde ich das so akzeptieren und mich um eine Teilerstattung bemühen. Das besonders Unerfreuliche an der Sache ist, dass ich nach der Ankunft in Igoumenitsa noch ca. 500 km bis zum Ziel fahren muss, was mindest 4 ½ Stunden Fahrt bedeutet. Zum Vergleich: ab Patras wären es nur 2 Stunden auf moderner Autobahn gewesen. Auf Google Maps sieht das für mich nach einer „romantische“ Strecke aus…. Im Klartext bedeutet das ewiges und zermürbendes Gegurke die Küste entlang. Ich bilde mir ein, bereits die schlimmsten Serpentinen in Griechenland gefahren zu sein und meistere zu meiner eigenen Verblüffung selbst ungesicherte Haarnadelkurven über steilen Klippen souverän mit Gottvertrauen, sinnvollem Fahr- und Bremsverhalten und ruhigem Puls. Insofern wäre das schon machbar, aber…
Pleite Nr. 2
Heute, am 28.06. folgte dann gleich die nächste Hiobsbotschaft auf den Fuß. Früh morgens habe ich das Auto, mit dem ich die Reise plane, in der Werkstatt zur Diagnose abgeben lassen, weil aus dem Motorraum seit einiger Zeit ein leises pfeiffendes Geräusch kommt, das angesichts der geplanten Reise nicht mehr ignoriert werden kann. Ergebnis: Der Turbolader ist scheinbar defekt. Der Kfz-Mechaniker aus der Vertragswerkstatt riet mir dringend davon, damit eine längere Reise anzutreten. Der Austausch kostet schätzungsweise zwischen 2000 und 2500 Euro. Da musste ich erstmal schlucken….
Eine Pechsträhne?
Dies sind nur die jüngsten bad news. Seit Frühjahr letzten Jahres läuft, selbst bei wohlwollender Betrachtung, nichts so wie es soll. Meine Wurzeln habe ich in Griechenland. Da glauben viele Leute noch an den „bösen Blick“ (κακό μάτι). Die Wissenschaftlerin in mir kann es sich jedoch nicht leisten, sich mit Parapsychologie aufzuhalten, auch wenn ich z.B. Geistergeschichten mag.
Die Probleme, die sich aber gerade im Diesseits kumulieren, sind jedenfalls nicht mit irgendwelchen Beschwörungsformeln effektiv abzuwenden, sondern aller Voraussicht nach nur mit Geld und extrastarken Nerven! Also werde ich mich zu dem Problem ins Internet, die Dringlichkeit eines Austauschen erwägen, über Alternativen wie Reparatur recherchieren, mir ggf. eine zweite Meinung einholen um zu klären, ob tatsächlich der Turblader selbst defekt ist oder womöglich andere Bauteile in seiner Umgebung die Störungen verursachen. Ich hoffe, dass ich das Thema aufschieben kann und falls nicht, den Schaden etwas preisgünstiger beheben lassen kann als veranschlagt.
Denn ich habe keine Lust, im Gotthardtunnel liegen zu bleiben oder am Korinthischen Golf bei 38°C. Wenn ich hier mit allem durch bin, bin ich vermutlich selbst eine Expertin für Turbolader. :–D Wenn — und das ist ein großen Wenn — alles klappt und ich die Reise antreten kann, möchte ich mich schlau machen, was es bei Igoumenitsa Interessantes zu erkunden gibt. So könnte ich aus dem Ärgernis wenigsten etwas Positives rausschlagen.
Bei all dem Pech rund um den Sommerurlaub bleibt mir nur eines übrig: herzhaft darüber lachen und guter Dinge bleiben.
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Update vom 28.06.Pleite Nr. 3
Der Fahrstuhl war heute zudem außer Betrieb. Also echt jetzt….ich kann mich nicht daran erinnern, in letzter Zeit einen Spiegel zerbrochen zu haben.
Das ist mir auch noch nicht passiert und hat meinem Herzen mindestens so wehgetan wie meinem armen Reifen, zumal der gesamte Satz Felgen vor erst einer Woche neu aufgezogen wurde und nicht billig war. Mangels Wagenheber musste der gelbe Engel ausrücken. Der schaute in Anbetracht des Risses im neuen Reifen genauso mitleidig aus der Wäsche wie ich und bekam ein Trinkgeld, weil er flott und höflich war und ich ihm angesichts dieses verregneten Sonntags meine Wertschätzung zukommen lassen wollte.