Der Nächste, bitte!

Der Nächste, bitte! – Plädoyer für die Abschaffung der festen Tanzpartnerschaft als zwingendes Erfordernis zur Teilnahme am Gruppen-Unterricht von Tanzschulen für Tango Argentino:

Zugegeben, der Betreff ist hochtrabend, trocken und formell formuliert. Überhaupt nicht tangolike. Wer sich an Formalitäten grundsätzlich stört, möge sich aber ebenso gut gerne einmal mit der fragwürdigen Formalität eines festen Tanzpartners auseinandersetzen. Gleichermaßen hochtrabend, trocken und formell finde ich nämlich Hinweise auf Webseiten von Tangoschulen wie etwa:

„Anmeldung bitte nur paarweise“.

Oder auch „Es werden nur Anmeldungen mit Partner akzeptiert“.

Oft liest man auch: „Wenn du keinen Tanzpartner hast, helfen wir dir gerne, einen zu finden.“

Bla bla bla… Ein echt stattlicher bürokratischer Bremsklotz für alle Solo-Lernenden und ein regelrechter Killer für jede motivierte Tangoseele!

Mein folgender Appell richtet sich primär an kompetente Tangolehrerinnen und -lehrer von Format. Sie sind diejenigen, die den Takt für die Unterrichtskultur im Tango angeben.

Aber viele Tangueros und vor allem Tangueras kennen die Problematik selbst nur zu gut: die Suche nach einem passenden Tanzpartner.

Es ist schwer bis unmöglich jemanden zu finden, der körperlich und menschlich zu einem passt. Viele Tanzpartnerschaften gehen mit der Zeit in die Brüche, oft früher als erwartet. Viele, vor allem Frauen, lassen sich erniedrigen oder erniedrigen sich mangels Selbstachtung selbst, um einen guten Tanzpartner zu finden oder zu halten. Durch den Führendenmangel, der vielerorts herrscht, werden die Herren – meist führen sie in der Rollenverteilung – fast automatisch in eine Machtposition erhoben, welche manche von ihnen schamlos ausnutzen. Ein großer Missstand in der Tangoszene übrigens, der zwar bekannt ist, aber leider kaum Beachtung findet.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, das alles muss nicht sein. Denn es geht auch anders. Seit einiger Zeit besuche ich mit großer Begeisterung eine Tangoschule in meiner anderen Heimat, Griechenland. Genauer gesagt in Korinthos auf der Halbinsel Peloponnes. An dieser gibt es das Problem mit der Tanzpartnersuche gar nicht. Denn mit einem festen Tanzpartner erscheint dort nämlich niemand im Unterricht. Man ist Individuum und nicht Paket.

Es wird dort munter rotiert, wobei der Lehrer meist entscheidet, wann es Zeit ist zu wechseln oder wer als nächstes mit wem tanzt. Natürlich gibt es auch dort eine zahlenmäßige Geschlechterdiskrepanz unter den Kursteilnehmern, aber jeder Herr übt im Laufe der Stunde mal mit jeder Dame die vorgegebene Figur/Kombination.

Der Herrenmangel ist insofern kein spürbares Problem. Die freien Damen machen eine kurze Pause, trinken einen Schluck oder üben für sich ein bisschen an der Stange. Letzteres macht nicht nur Spaß, sondern räumt das Gehirn auf, wenn es mit dem Unterrichtsthema nicht auf Anhieb klappt. Da entstehen bis zum nächsten Partner meist keine langen Wartezeiten, die es zu überbrücken gilt.

Natürlich sollte kein allzu extremes Ungleichgewicht zwischen Führenden und Folgenden herrschen. Wie hoch dieses maximal sein darf, damit das funktioniert können Statistiker gerne berechnen. Da will ich keine Empfehlungen aussprechen.

Die Unterrichtsatmosphäre wirkt durch die regelmäßige Rotation nicht nur entspannter, sondern sie ist auch definitiv entspannter und auch persönlicher, aber keineswegs chaotisch, wie man vielleicht meinen könnte.

Selbst wenn mal Frust beim Lernen einsetzt, weil etwas nicht so recht klappen will, kann man bald wieder zu jemandem wechseln, mit dem diese Figur vielleicht besser funktioniert. Durch den steten Partnerwechsel weht ständig ein frischer Wind. Dennoch ist der Unterricht ganz klar konzipiert und strukturiert.

Es geht mir ums grundsätzliche Prinzip. Bis dato hatte sich nämlich der Irrglaube in mein Gehirn eingebrannt: „Ich muss einen Tanzpartner finden. Ich muss einen Tanzpartner finden.…“

Aber warum überhaupt? Ok, bei Tango Escenario z.B. macht es natürlich Sinn, anlässlich eines Showauftritts zielorientiert mit einem bestimmten Partner zu trainieren. Aber in den meisten Schulen in Deutschland wird Tango de Salón unterrichtet, was als ein Einstieg auch sinnvoll ist. Da werden die Schüler, allenfalls auf die Besuche von Milongas vorbereitet, wo die meisten Gäste mehrmals den Tanzpartner wechseln.

Warum bitteschön herrscht dann im Tanzkurs Monogamie, wenn man – als eines der Lernziele – mit verschiedenen Partnern tanzen können soll? Das erscheint mir unlogisch.

Ich bin der Überzeugung, dass mit der Aufhebung des Tanzpartnerzwangs 1. man unabhängig von anderen ist, 2. die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Suche nach dem passenden Partner komplett entfallen, 3. man die dadurch eingesparte Energie und Zeit in den Lernprozess investieren kann, 4. der Machtmissbrauch gekappt wird, da gleiche Bedingungen für beide Lager (Führende und Folgende) und somit alle Lernenden herrschen, 5. man insgesamt schneller lernt, weil man neue Elemente, Figuren und Bewegungsabläufe gleich mit verschiedenen Partnern anwendet und 6. im Nebeneffekt der Gruppenzusammenhalt nicht nur gestärkt wird, sondern dieser überhaupt erst entsteht, denn im Unterricht der meisten Schulen gibt es faktisch kein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl, da jedes Paar mit Scheuklappen sein eigenes Ding durchzieht.

Wer wiederum wirklich nur exklusiv mit seinem eigenen Lebenspartner lernen und diesen nicht mit anderen „teilen“ will, hat entweder die Möglichkeit, seine Scheu oder Eifersucht zu überwinden und es trotzdem mal zu versuchen, was im Tango generell sinnvoll ist, oder es bleibt die Möglichkeit, gemeinsam Privatsunden zu nehmen. Nach ihnen allein sollte sich die Unterrichtsstruktur im Kurs, aber auch die Unterrichtskultur keinesfalls richten. Das würde durch die Bank weg sämtliche Solo-Lernende diskriminieren.

Als solche fühle ich mich, um das mal ganz deutlich zu sagen, nämlich massiv zurückgestellt durch das Erfordernis der festen Tanzpartnerschaft.

Hätte ich nicht die Initiative ergriffen und Schulen mit anderen Unterrichtsmethoden eine Chance gegeben, würde ich noch heute – ohne den Hauch einer kontinuierlichen Unterrichtsmöglichkeit – meine wertvolle Zeit und Energie mit der Partnersuche vergeuden und vertrauensselig sowie vergeblich auf zweifelhaften Wartelisten mit intransparenten Vergabekriterien für einen passenden Tanzpartner stehen und zwar bis ich alt und grau bin….

Stattdessen übe ich in großzügigen 90 –  120-minütigen Kursstunden endlich neue Sachen, lerne z.B. Planeos, Volcadas oder die korrekte Beinführung bei Barridas. Ok, für viele fortgeschrittene Tänzer ist das nichts Besonderes, aber an deutschen Tangoschulen war ich lange Zeit vom Unterricht ausgeschlossen und stagnierte in meiner Entwicklung, sodass ich fast vom Glauben abgefallen wäre.

Ich habe nun endlich einen riiiesen Spaß am Lernen und wünschte, es gäbe in meinem Umfeld in Deutschland wenigstens eine einzige Tangoschule, in der man das auch so handhaben würde, sodass ich dieselbe Freude in meiner anderen Heimat erleben könnte.

Liebe Maestras und Maestros, ich möchte Tango lernen! Bei euch und mit euch! Hört also bitte auf, mich durch unzeitgemäße Konzepte vom Unterricht auszuschließen!

V Tango ist….

…auch (k)eine Lösung

So lautet mein aktuelles und mittlerweile drittes Tango-Mantra. Das Erste war nicht ganz jugendfrei und das Zweite philosophisch. Dieses hier ist vergleichsweise pragmatisch und wird sicher nicht das Letzte sein. Es hilft mir jedenfalls, mich im Tango zu erden und erinnert mich darüber hinaus auch daran, ihn generell nicht allzu ernst zu nehmen.

Tango hat das Potenzial, das Denken und Fühlen der Praktizierenden stark zu beherrschen. Ähnlich wie Alkohol oder Drogen. Um mich nicht vom Tango versklaven zu lassen oder mich samt meiner Zielsetzungen und Träume in diesem Labyrinth zu verlieren, erscheint es mir sinnvoll und richtig, hin und wieder – sowohl innerlich und als auch äußerlich (z.B. durch Abstinenzphasen) – ein Stück auf Distanz zu gehen. Nur so kann ich ihn immer wieder aufs Neue kennen-, schätzen- und lieben lernen….

Einsam heilsam?

Rund um die Weihnachtszeit bis hin zum Jahreswechsel klagen besonders viele Menschen über Einsamkeit. In dieser Zeit fühlen sich vor allem solche, die alleine leben, ledig, getrennt, geschieden oder verwitwet sind, stark isoliert. Aber Einsamkeit hängt nicht bzw. kaum von der Wohnsitation oder vom Beziehungsstatus ab, sondern ist vielmehr ein rein innerer Gemütszustand, ein Gefühl. Denn das Paradoxon ist, nicht nur Alleinstehende fühlen sich einsam. Selbst solide eingebettet in Partnerschaft, Familie und sozialen Beziehungen können sich Menschen einsam und isoliert fühlen. Nicht selten ist sogar gerade das intensive Um-sich-Scharen sozialer Kontakte ein Indiz für innere Leere, ein fragiles Ego sowie empfundene Einsamkeit, welches durch das Menschensammeln kompensiert werden soll. Meist erfolglos, denn die Einsamkeit wird damit nicht an den Wurzeln gepackt.

Zwar spiegelt sich diese Notlage der Betroffenen an Weihnachten bzw. im Monat Dezember, anders als oft angenommen, nicht in den Suizidraten des Statistischen Bundesamtes wider, aber dennoch hat Einsamkeit zweifelsohne pathologischen Charakter und verdient gerade in dieser Zeit besondere Aufmerksamkeit.

Um das Problem zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den Ursachen zu befassen:

Seit Kindesalter wird uns beigebracht, dass Alleinsein ein schlechter Zustand sei, vor dem man sich dringend hüten sollte. Diese Erziehung führt unweigerlich zur Fehlinterpretation dieses Zustandes, sodass sich Denkmuster etablieren wie „Alleinsein ist schlecht.“, „Alleinsein macht krank.“ Oder „Nur wer Menschen um sich hat, ist glücklich.“ Der Mensch ist zwar bekanntlich ein soziales Wesen und in der Gruppe sind viele alltägliche Herausforderungen leichter zu erledigen, aber er strebt gleichzeitig auch nach Freiheit – und Panik hält ihn bekanntlich davon, sich frei zu entfalten.

Wer sich ständig mit dem Alleinsein oder besser dem Vermeiden von Alleinsein befasst, ist innerlich wie getrieben und verliert den Kontakt zu sich selbst. Für die Betreiber von Straßen-Cafés ist das eine prima Sache. Besonders solche in südlicheren Gefilden wie etwa in Griechenland sind voll von Leuten, die ihre eigenen Gefühle und Gedanken mit sinnlosem, aber staatstragend anmutendem Geplapper übertönen und sich gegenseitig unausgesprochen bestätigen, besonders sozial zu sein. Aber mit einem gesunden Sozialverhalten hat das exzessive Kontaktheischen und pingponghafte Austauschen nicht viel zu tun. Spätestens wieder daheim eingetroffen, fühlen sich viele von ihnen wieder leer. Wer außerdem zu sozial ist und seine Orientierung ausschließlich in der Gesellschaft sucht, ist argumentum e contrario womöglich latent gegen sich selbst, was sicherlich nicht für eine mentale Gesundheit spricht.

Anderes Beispiel: Viele Menschen legen ein gutes Buch nach kurzer Zeit, manchmal schon nach 2-3 Seiten Lektüre, wieder weg, um mit dem Smartphone auf Facebook, Instagram, Tinder, WhatsApp und Co. zu checken, was Freunde und Bekannte gerade so treiben, mit ihnen in Kontakt zu treten und die nächste Verarbredung klarzumachen. Zu groß wird in ihnen die Sorge und damit der Druck, etwas zu verpassen oder den Anschluss zu verlieren. Dieses Verhalten kann man besonders gut am Strand, im Flugzeug oder im Bus beobachten. Wer nicht einmal willens oder in der Lage ist, sich eine halbe Stunde lang in einen Text zu vertiefen und diesen semantisch zu erfassen und diese Zeit lieber in oberflächliche soziale Bestätigung investiert, dessen mentale Balance ist mindestens in Schieflage, wenn nicht sogar komplett aus dem Fugen.

Neulich tauschte ich mich mit einem Bekannten aus, einem französischen Künstler. Er lobte überraschend meine Fähigkeit zum zeitweiligen Alleinsein. Schon lange pflege ich regelmäßige Rückzugsphasen, in denen ich bewusst nur für mich sein möchte und Gesellschaft vermeide. Früher, etwa während der Schulzeit, waren es meist nur einige Stunden oder ein halber Tag. Später als Erwachsene zog ich mich hin und wieder sogar für mehrere Wochen komplett allein zurück. Mit meinen ungestörten Routinen und in der Gesellschaft meiner eigenen Gedanken ging es mir gut in meinem „Exil“ und ich kehrte anschließend immer erfrischt zurück zu meinen Liebsten.

Bis zu diesem Austausch mit meinem Bekannten, war ich mir nicht sicher, ob mit mir etwas nicht stimmte, zumal die Gesellschaft ausnahmslos die Bedeutung von Zusammensein hochhält und das Alleinsein gleichzeitig verteufelt. Diesem Diktat kann man sich nur sehr schwer entziehen. Aber mittlerweile sehe ich das anders, entspannter, denn faktisch leide ich in diesen Phasen nicht. Was sich für mich gut anfühlt, ist für mich gut. Punkt.

Um eine gute Beziehung zu anderen zu haben, sollte man sich eingestehen, dass man selbst der einzige wirkliche „Freund“ ist, mit dem man den Rest seiner Tage verbringen werde“, teilte mir mein Bekannter mit und berief sich dabei auf die Lehren des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti (*1895 – †1986), nach welchen die Einsamkeit für die Selbstfindung und -kultivierung nicht nur gut und sinnvoll, sondern unabdingbar ist. Krishnamurti ist in Philosophenkreisen alles andere als unbekannt, aber der breiten Masse der deutschen Gesellschaft ist er nicht unbedingt geläufig. In Schule und Universität habe ich diverse große Philosophen studiert, aber Krishnamurti bislang nicht. Möglicherweise liegt dies darin begründet, dass er jedwede Autorität ablehnte, die Gesellschaft als Ratgeber und Orientierung in Frage stellte, Konkurrenzdenken und sogar das Denken selbst kritisierte und die Menschen dazu ermutigte, wahrhaft unabhängig von anderen zu sein und sich selbst der beste Lehrer und Anführer zu sein. Gut vorstellbar, dass dies Machthabern in Politik und Wirtschaft aufstößt, wenn an altbewährten Dogmen (z.B. die Gesellschaft weiß immer, was für dich gut ist) gerüttelt wird. Eine Seele, in der Klarheit und Ordnung herrschen, ist schwer zu unterwerfen. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass solche Philosophien nicht allzu hoch im Kurs steht.

Diesbezüglich spüre ich nach meinen ersten rudimentären Recherchen jedenfalls deutlich Nachholbedarf und habe zwei deutschsprachige Bücher zu Krishnamurtis Lehren gekauft. Das eine bietet einen ausführlichen Überblick über seine Theorien und das andere konzentriert auf das Thema Meditation.

Zwischenfazit: Möglicherweise löst die Furcht vor dem Alleinsein Einsamkeit überhaupt erst aus. Bewusstes zeitweiliges Alleinsein und effiziente Meditation könnten das Gegenmittel sein und die Einsamkeit heilen.

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