III Tango ist…

© KOUTAMARES

…ein Wechselbad der Gefühle! Manchmal fühlt man sich …akzeptiert…gewertschätzt… geborgen…elektrisiert…begehrt…geliebt…vollständig…und manchmal sogar zutiefst erfüllt.

Aber nicht alle Emotionen, die der Tango zu wecken vermag, sind so süß wie das russisch’ Brot auf dem obigen Foto. Mir kam nebenbei bemerkt erst spät die Idee, diese Wörter zu legen. Zu diesem Zeitpunkt waren alle „T“s irgendwie schon vertilgt und so musste ich eben mit „I“s improvisieren. ^^

Tänzer, die schon eine zeitlang aktiv sind, wissen genau wovon ich spreche: die Schattenseite. Es gibt Phasen und Momente im Tango, da fühlt man sich mitunter abgelehnt…hängen gelassen…einsam…fehl am Platz…frustriert… unzulänglich… desillusioniert…frustriert…gedemütigt….selbstmitleidig und und und.

Früher habe ich mich gegen diese Facetten innerlich gewehrt. „Tango ist doch dazu da, damit ich mich gut fühle!“, dachte ich mir. Anderenfalls würde er doch nicht viel Sinn machen. Mittlerweile sehe ich das etwas anders. Es gibt im Grunde kein „falsches“ Gefühl im Tango. Fühle ich mich gut, ist es richtig. Fühle ich mich mal schlecht, ist das ebenfalls „richtig“, denn auch negative Gefühle haben ihren Sinn und ihre Daseinsberechtigung.

Im Tango wird man unweigerlich mit sich selbst konfrontiert und zwar fundamentaler und intensiver als man es am Anfang vermutet. Wer beispielsweise den emotionalen Horizont eines Pantoffeltierchens hat, kann das natürlich nicht unterschreiben. So jemand kann zwar dennoch bis zu einem gewissen Grad technisch Tango erlernen, wird bei der Musik und bei den Bewegungen allerdings nicht sehr viel empfinden, also weder besondere Höhenflüge noch große Dramata erleben. Wer in ausgewogener Weise hingegen über das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle verfügt, der erlebt sie auch im Tango. Im Unterschied zum sonstigen Alltagsleben kommen und gehen sie manchmal schneller und sind oft auch intensiver, ähnlich wie kleine Wirbelstürme. Genau erklären kann ich mir dieses Phänomen noch nicht. Eventuell liegt das daran, dass der Tango in ganz ursprünglichen und „primitiven“ Bedürfnissen der Praktizierenden rührt. Zudem sind die Koalitionen im Tango oftmals kurz- und schnelllebig. Man begeistert sich schnell und entgeistert sich nicht selten noch schneller für einander. Trost über Enttäuschungen findet man rasch in den Armen eines Anderen. Alles fließt (altgriech. πάντα ῥεῖ). Wer stehen bleibt und zurückblickt, hat die Spielregeln nicht verstanden und hat schon verloren.

Vor einigen Tagen kam ein neues Gefühl dazu, das ich zuvor im Tango noch nicht kannte: Ich besuchte eine Milonga und war gerade dabei, eine trockene Blätterteigstange herunterzuwürgen, die auf der Theke besser aussah als sie schmeckte. Ein junger Mann betrat den Raum, zahlte Eintritt, ging anschließend an mir vorbei und sein Blick streifte mich dabei. Er hatte ein außergewöhnliches Gesicht, nicht unbedingt männlich, sondern vielmehr hübsch wie ein Engel, war insgesamt sehr gepflegt und außerordentlich elegant gekleidet. „So sollte man(n) ruhig öfter auf Milongas aufschlagen.“ dachte ich.

Sein Erscheinungsbild war eher untypisch für einen Mann seines Alters. Nach zwei Tandas, die wir jeweils mit anderen Partnern tanzten, war es dann soweit. Er forderte mich per Cabeceo auf. Ich folgte ihm auf die Tanzfläche. Kein Wort von ihm. Kein Hallo. Nichts. Kein Problem für mich. Schließlich war ich zum tanzen da und nicht um zu quatschen. Außerdem ist die Abrazo generell ein wunderbarer erster Kontakt zwischen zwei Fremden.

Er nahm mich schon zu Beginn der Tanda sehr eng in seine Arme und schmiegte sein Gesicht an meines. Einem gepflegten, authentischen Mann lasse ich das durchgehen. Grundsätzlich bin ich jedoch der Ansicht, dass eine gute und ehrliche Umarmung ausreicht, um Zuneigung auszudrücken und Kontakt mit dem Gesicht nicht zusätzlich nötig ist bzw. in den meisten Fällen eine Intimität unnatürlich beschleunigt wird. Es gab bisher nur wenige Begegnung, bei denen ich von mir aus das Bedürfnis hatte, jemandem beim Tanzen so nahe zu kommen. Aber wie dem auch sei. Ich ließ ihn gewähren, um ihn nicht zu verunsichern und weil ich gespannt war, wohin uns die gemeinsame Reise führt.

Zu meiner Enttäuschung ging es bei dieser Begegnung jedoch nicht wirklich um uns und auch nicht um mich. Vielmehr schien sich der junge Mann auf der Tanzfläche zu promoten und das aus meiner Sicht nicht sehr überzeugend. Anfangs war ich mir nicht sicher und wollte da kein vorschnelles Urteil fällen. Also tanzte ich einfach weiter. Womöglich war er ja auch bloß etwas nervös und kompensierte das mit einem ostentativ selbstbewussten Auftreten. Wenn ich mich bei einem Tänzer wirklich wohlfühle, denke ich nicht oder zumindest nicht so viel. Der junge Tanguero war offenbar der Überzeugung, mithilfe seiner Atmung führen zu können, vergaß jedoch, seinen Körper dabei mitzunehmen. Im Grunde atmete er einfach nur zur Musik tief ein und aus und gefiel sich offenbar, sich beim Einatmen groß aufzubauen, ohne sich jedoch entschlossen fortzubewegen und hinreichend deutliche Impulse zu setzen. Gedanken lesen kann ich nicht, also versuchte ich, das Beste aus der Situation zu machen und mich zumindest in seiner Umarmung wohl zu fühlen. Da die Kommunikation nicht richtig funktionierte, waren auch tänzerisch keine Highlights zu erwarten. Erst nach dem zweiten Lied brach er übrigens sein Schweigen. Durch den starken osteuropäischen Akzent und die laute Geräuschkulisse verstand ich ihn jedoch kaum. Wie oft ich hier sei, wollte er mitunter erfahren. Mich am Ende der Tanda von ihm zu lösen, fiel mir nicht allzu schwer. Der Abschied war kurz und unsere Wege trennten sich auf der Tanzfläche. Ich bin da ehrlich gesagt etwas altmodisch und mag es eigentlich gern, wenn mein Tanzpartner mich wieder dorthin begleitet, wo er mich gefunden hat, oder es zumindest anbietet. Aber wo „Gentleman“ draufsteht, ist nicht unbedingt Gentleman drin.

Die Begegnung mit diesem Tänzer erwies sich jedenfalls als eine große Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität. Ich fühlte mich regelrecht ernüchtert….

Das Grundgesetz des Tango

©KOUTAMARES

Auf der Suche nach Verhaltenscodices für Tango Argentino, welche den Umgang der Tanzenden miteinander auf sinnvolle Weise reglementieren, bin ich auf dieses spannende und unterhaltsame Werk gestoßen. Es stammt von einem sehr erfahrenen und kompetenten Tangolehrerpaar aus Deutschland, welches mich auf meinem Weg zwar bisher nur kurz begleitete, dafür aber meine Wahrnehmung in besonderer Weise schärfte und meinen Tango nachhaltig prägte. Dank der motivierenden und unprätentiösen Anleitung von Susanne und Hasso bin ich mit meinem Fokus mehr bei mir und meinem Partner und fühle mich insgesamt entspannter und geerdeter in meinen Bewegungen.

Das Grundgesetz des Tango

Quelle: www.abrazar-la-vida.de

Eine Sammlung von Gedanken zum schönen tanzen

§ 1 – Die Achse der Dame ist unantastbar! Es ist nicht „der Job“ des Führenden, die Achse der Folgenden zu halten, sondern oberstes Gebot, deren Achse nicht zu verletzen. Dem gegenüber ist es die Aufgabe der Folgenden, eine saubere und schöne Achse zur Verfügung zu stellen, um eine komfortvolle und kreative Führung möglich zu machen

§ 2 – „Gib nie die Umarmung auf für einen Schritt“ (Gavito) – Das wichtigste im Tango ist Kommunikation und Kontakt im Paar. Der wichtigste Schritt des Führenden ist der, womit er am Ende einer Reaktion der Folgenden den Kontakt und die richtige Position zu einander aufrecht erhält oder wieder herstellt.

§ 3 – Führung heißt, im Körper der Folgenden den Wunsch zu erzeugen, die Bewegung zu machen, die der Führende sich vorstellt. Wo Kraft für die Führung benötigt wird, ist die Führung falsch.

§ 4 – Jeder Impuls, den wir senden, muss ein Ziel im Körper gegenüber (!) haben. Setze Führungsimpulse präzise. Immer nur so stark wie nötig aber immer so „leise“ wie möglich und immer auf die entscheidend richtige Stelle im Körper gegenüber gerichtet. Fehlt die „Adresse“ kann die Information nicht ankommen.

§ 5 – Führe nicht mit einem „breiten Stempel“, sondern mit einer „Bleistiftspitze“. Umso flexibler, sicherer und entspannter wird der Tanz.

§ 6 – Vermeide alle unnötigen Impulse, denn nach mehreren Impulsen, die nichts zu bedeuten haben, wirst Du auf den nächsten, wichtigen Impuls, keine Reaktion mehr bekommen!

§ 7 – Führen bedeutet einen Impuls zu setzen, die Reaktion im Körper gegenüber abzuwarten und dann das Ergebnis der eigenen Führung zu begleiten. – Führende sind also immer auch Folgende!

§ 8 – Lass Berührung zu! Tango tanzen ist eine Reise nach innen. – In das eigene „Ich“ und in das „Ich“ gegenüber. Nur wenn wir zulassen, dass uns der/ die Andere emotional „berührt“ wird der wirkliche Tango zum Leben erwachen.

§ 9 – Arme und Hände sind keine Führungsinstrumente, sondern nur für die Umarmung da. Folgende sind keine „Buslenker“, an denen man „dreht“. Die meisten Fehler in der Führung kommen aus den Armen und Händen.

§ 10 – Flexibilität und Stabilität und Sensibilität kommen aus Entspannung und Aufrichtung – Nicht aus Spannung, sondern Dehnung und Auflösung der Dehnung.

§ 11 – Tanzen ist eine Verabredung, sich gemeinsam zur Musik zu bewegen. Kommunikation im Paar ist die eigentliche Sinnlichkeit des Tango.

§ 12 – Tanze, was Du hörst! Folge der Musik und dem Menschen gegenüber! Für die Harmonie im Tanzpaar ist es schöner und wichtiger der Musik (Melodielinien, Charakter, Rhythmen) zu folgen, als wilde Figuren und zu turnen.

§ 13 – Was Du nicht hörst, versuche nicht zu tanzen. Nicht jeder erkennt spielerisch und naturgegeben „die Musik in der Musik“. – Das ist auch nicht schlimm. – Denn bis zu einem gewissen Grade kann man dies, mit der Hilfe von Lehrern oder Mentoren, erlernen zu hören. Wichtig ist, dass man den Willen dazu hat und behält. Deshalb: Tanze was Du hörst.

§ 14 – Tango wird in der Ronda mit rücksichtsvollem Abstand zum nächsten Paar getanzt. Meistens sind wir nicht alleine auf der Tanzfläche! Und: Die Dame ist keine Waffe!

§ 15 – Wir brauchen im Tango niemandem etwas zu beweisen. Oft ist weniger mehr. Der/ die Erfahrenere richtet sich in der Ausgestaltung des Tanzes nach dem/ der Unerfahreneren.

§ 16 – Auf einer Milonga gibt es keine Lehrer. Es gibt nur Tänzer und Tänzerinnen. Belehrungen und Zurechtweisungen innerhalb eines Paares beweisen lediglich mangelndes Verständnis und fehlende Empathie.

§ 17 – Verlass Dich nie darauf gut zu sein, weil „sich Keine beschwert“. Gehe immer davon aus: Wer sich nicht in Kursen oder „Stunden“ immer wieder „Fit“ hält, wird wieder „schlechter“.

§ 18 – Auf einer Milonga sind alle Tanzenden Gäste und verhalten sich auch wie Gäste. Das Hausrecht hat (nur) der Veranstalter.

Jorge Luis Borges über den Tango

Der Tango machte mit uns, was er wollte, trieb uns herum und auseinander und dann wieder zusammen.“

Jorge Luis Borges, (1899-1986), argentinischer Schriftsteller

(orig. „El tango hacía su voluntá con nosotros y nos arriaba y nos perdía y nos ordenaba y nos volvía a encontrar“)

©KOUTAMARES

Ab einem gewissen Zeitpunkt macht jeder Tangotänzer unweigerlich Bekanntschaft mit diesem Phänomen. Wie alle Süchtige bilden wir uns ein, die Kontrolle über unseren Konsum zu haben, aber die Rechnung machen wir ohne den Wirt! Wir spüren in der Regel nicht, wann es genau passiert, aber irgendwann stellen wir fest, dass wir uns auf einem verrückten Karussell befinden, das einfach nicht anhalten will….

Vor einigen Jahren fasste ich an einem Sommerabend den Entschluss, mir endlich meinen kleinen Traum zu erfüllen, mit dem Tango zu beginnen und recherchierte im Internet nach einer geeigneten Adresse für mich. Auf der Homepage meiner späteren Tangoschule las ich die scherzhafte Warnung: Vorsicht, Tango macht süchtig! Zumindest hielt ich sie damals für einen Scherz. Als erfahrene Hobbytänzerin lächelte ich belustigt über diese Aussage hinweg. „Gute Werbung!“, dachte ich mir. Zwar war mir aus eigener Erfahrung bewusst, wie viel Freude Paartanz generell bereiten kann, aber die Warnung nahm ich dennoch nicht so ganz ernst. – Das war ein Fehler. Die Macht des Tango hatte ich damals total unterschätzt.

Niemand hat diese Machtlosigkeit und den Sog dieser Welt so knapp und treffend in Worte gegossen wie Borges mit diesem Zitat. Ein wahrer Weltliterat. Dass ihm der Literatur-Nobelpreis verwehrt blieb, tut seinem Ruhm keinen Abbruch. Wie der Tango ist und bleibt Borges unsterblich.

II Tango ist…

…wenn zwei völlig Fremde sich vollkommen akzeptieren, einen kurzen aber einzigartigen Moment jenseits von Raum und Zeit miteinander teilen und selbst in den Pausen zwischen den Musikstücken einer Tanda die Umarmung halten.

©KOUTAMARES

Insbesondere hier in Deutschland beobachte ich auf Milongas oft Tanzpaare, die in den Liedpausen und beim Anspielen der Cortina die Umarmung schnell und teilweise unsanft lösen, ohne dass ein nachvollziehbarer Anlass wie z.B. ein unangemessenes Verhalten eines Partners erkennbar wäre. Nein, das passiert genau genommen auch oder gerade solchen Paaren, die kurz zuvor noch sichtlich Freude mit- und aneinander hatten.

Sie töten diesen wunderbaren Moment und begraben ihn unverzüglich unter belanglosem Smalltalk und albernen Witzeleien. Bloß keine Schwäche zeigen! Die Maske will flott wieder aufgesetzt werden! Nicht dass der Andere noch bemerkt, wie sehr man gerade seine Gesellschaft genießt!

Schwäche – ist nicht vielmehr schwach, wer seine Gefühle leugnet?

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner