Solo con Tango

Ohne festen Tanzpartner Tango Argentino zu erlernen, ist alles andere als leicht.

Da ich aus eigener Erfahrung sehr genau weiß, wie schwer es ist, Rückschläge und menschliche Enttäuschungen zu erleiden und sich ohne Hilfestellung oder besondere Privilegien immer wieder aufs Neue zu motivieren, habe ich grundsätzlich mehr Respekt vor den Lernerfolgen und den Fähigkeiten Solo-Lernender als vor Tänzern, die eingebettet in langfristigen und soliden Tanzpartnerschaften den Tango „safe“ praktizieren. Solo-Lernende sind sozusagen die Alleinerziehenden unter den Tänzern. Sie haben alle Hände voll zu tun, um voran zu kommen. Man kann es drehen und wenden wie man will und ich möchte da auch niemanden vor den Kopf stoßen. Aber Paare haben es einfach leichter, die notwendigen Techniken systematisch und schnell zu erlernen. Aber eben nur die Technik. Wie wir alle wissen, ist Tango weit mehr als das!

Feste Tanzpaare vergeuden ihre Energie jedenfalls nicht für die Suche und laufen auch nicht Gefahr, an Leute zu geraten, die sie beispielsweise übervorteilen oder ausnutzen wollen. Wie in Watte gepackt erforschen sie – stressfrei und kontinuierlich – den Tango, haben im Grunde immer jemanden zum Üben verfügbar, bündeln ihre Ressourcen, teilen sich oftmals die Fahrt zum Kurs, zu Milongas und Festivals etc. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tanzen sie ihren unaufregenden Tango noch heute. Gähn…

Das ist keineswegs zynisch gemeint, sondern entspricht lediglich meiner Beobachtung. Ich habe unweigerlich viele solche Paare beobachtet. Sie erlernen, je nach Kompetenz ihrer Lehrer, durchaus einen auf den ersten Blick ansehnlichen Tango, wirken aber bei näherer Betrachtung oft irgendwie auch gelangweilt und leidenschaftslos. Als würden sie im heimischen Wohnzimmer napflixen.

Manche von ihnen, insbesondere Tanzpaare, die auch eine Lebenspartnerschaft oder Ehe miteinander pflegen, tanzen sogar ausschließlich miteinander. Diese Art von Exklusivität ist natürlich ihr unbestreitbares Recht, aber nach meinem Verständnis sind das keine wirklichen Tangotänzer, sondern vielmehr Performer, die durch ihr Eingespieltsein meist schon relativ genau wissen, welcher Figur der Führende als nächstes plant oder wie der Folgende reagiert. Denn unbewusst etabliert man beim Tanzen dieselben oder ähnliche Bewegungsmuster, vor allem wenn man zu bekannteren und häufig gespielten Musikstücken tanzt. Irgendwann stagniert die Entwicklung unweigerlich. Selbst bei Profi-Paaren, die nur oder hauptsächlich miteinander trainieren, kann man dieses Phänomen beobachten.

Mein Lehrer erläuterte im Gruppenunterricht einst sinngemäß, einmal mit einer fremden Tanzpartnerin zu üben sei so effektiv wie zehnmal mit der eigenen Partnerin zu tanzen. Er hatte Recht, auch wenn ich das als Anfängerin noch nicht verstand. Tanzen zwei Personen immer nur ausschließlich miteinander, ist das irgendwie so als würden sie eine Geheimsprache austüfteln. Sie machen es sich in einer gemeinsamen Komfortzone bequem oder schließen die Tür ab. So entsteht ein in sich geschlossenes System, in das kaum neuen Impulse vordringen bzw. vordringen können. Letztendlich leben sie den Tango nicht, sondern imitieren ihn vielmehr, obwohl ihr „Werkzeugkasten“ technisch gesehen gut bestückt ist. Aber sie schöpfen ihn aus Bequemlichkeit und anderen Gründen kaum aus.

Wenn man nur mit einem einzigen Menschen Tango tanzen kann, hat man den Tango nicht sonderlich tiefgreifend erforscht, sondern kratzt immer nur an der Oberfläche. Dieses Eingespieltsein solcher Paare hat meines Erachtens mit Tango nicht viel zu tun. Tango ist ein Improvisationstanz, in welchem kein Moment dem anderen gleicht. Zudem geht bei solchen Konstellationen der soziale Faktor, um den es im Tango de Salón schließlich geht, faktisch gegen null. Früher habe ich feste Tanzpaare zugegeben beneidet und mir wehmütig jemand Passendes gewünscht, der diesen Weg mit mir als eine Art Sportsfreund teilt. Heute bemitleide ich sie eher, denn sie tanzen neben der Community her ohne wirklich Teil davon zu sein.

Wenn gerade kein Trainingspartner verfügbar ist,
muss zur Not auch mal eine alte Lok für Voleos herhalten. :–)

Als „Einzelkämpfer“ lebt man hingegen alles andere als isoliert und in Watte gepackt, sondern nicht selten durch Schmerz und wird in vielerlei Hinsicht geformt und abgehärtet. Nicht nur tanztechnisch, sondern auch charakterlich. Das ist alles andere als angenehm und nicht jeder Mensch ist dafür geschaffen und stark genug, Tango auf diese Weise zu erforschen. Aber der Stress lohnt sich, denn sich überwiegend alleine zu organisieren, verbessert auch die eigene Problemlösungskompetenz, wovon man auch in anderen Lebensbereichen profitiert. Insofern wäre eine langjährige feste Tanzpartnerschaft für mich nicht nur nicht mehr erstrebenswert, sondern würde meine weitere Entwicklung und Reise zum Tango nur behindern. Für Pragmatiker mag das sinnvoll sein, aber für Idealisten und Abenteurer hat das keinen großen Reiz.

Das Einzelkämpferdasein bringt manchmal sogar besondere Talente hervor. Ein Beispiel:

Bei einem Tango-Marathon in der Nähe von Koblenz etwa hatte ich vor einigen Wochen eine der schönsten Tandas mit einer sehr sympathischen jungen Tänzerin. Sie konnte hervorragend führen und tanzte außerordentlich temperamentvoll und musikalisch. Viele andere Frauen, mit denen ich bisher getanzt habe, haben meist irgendwie Hemmungen oder Berührungsängste, vor allem in der Abrazo, was hauptsächlich bestimmten anatomischen Begebenheiten geschuldet ist. Aber diese sind nur ein Problem, wenn man sie künstlich zum Problem macht. Die Dame war jedenfalls selbstbewusst und hatte eine sehr gute und ehrliche Umarmung. In ihrer gesamten Art war sie kongruent und authentisch. So stellten wir entspannt und natürlich die perfekte Verbindung her und schufen damit die Basis für einen schönen Tanz. Ich fragte sie hinterher, wo sie gelernt hat so gut zu tanzen und vor allem – was wirklich außergewöhnlich ist – so souverän zu führen. Sie antwortete, dass sie in einer kleinen Tanzschule gelernt hatte, in der es viel zu wenige Männer gab. Sie wollte aber einfach unbedingt tanzen und so lernte sie eben selbst zu führen. Sie beherrscht nun beide Parts, ist Führende und Folgende, und zwar jeweils auf hervorragendem Niveau. Einfach nur cool.

Anderes Beispiel:

In den deutschen Communities wird teilweise sehr schmutzig um Tanzpartner gefeilscht und gestritten. Konkurrenzkämpfe, Manipulation, Intrigen, Diebstahl etc. sind da leider an der Tagesordnung. Ich nenne dies die Dunkle Seite des Tango, über die durch seine romantische Verklärung so gut wie nie gesprochen wird. Aber sie existiert und ist genauso Teil der Tangogesellschaften wie Kriminalität ein Teil der Gesellschaft ist. Wer einen patenten Tanzpartner ergattert hat, muss oft um ihn fürchten. Denn die Konkurrenz schläft niemals und manche Menschen gehen über Leichen, um Tango zu lernen. Ein sehr erfahrener und etablierter Tänzer meiner Community erleuchtete mich einst in meiner Naivität: „Niki, wenn du wüsstest, was manche Frauen alles tun, um Tango zu lernen….das ist einfach nur widerlich…..“

Sich auf solche Spiele einzulassen, kam und kommt für mich nicht in Frage. Beispielsweise mit einer anderen Tanguera um einen Tänzer zu kämpfen, würde diesen nur auf unadäquate Weise erhöhen und mich zugleich erniedrigen. Egal wer den (hypothetischen) Kampf gewänne, hätte ihn im um Grunde zugleich verloren. Denn der Kampf erzeugt eine Schieflage, in der die Begegnung mit dem gewonnenen „Objekt der Begierde“ auf Augenhöhe kaum mehr möglich wäre. Eine für mich inakzeptable Ausgangslage. Stress und Verlustängste sind kein fruchtbarer Boden für schönen Tango.

Anstatt meine Zeit und Energie also mit der Suche oder Verteidigung eines festen Tanzpartners oder sonstige komplizierte soziale Verstrickungen zu verpulvern, begann ich nach alternativen Möglichkeiten zu suchen, mich im Tango weiterzuentwickeln. Die meisten Tangostudios in meiner Gegend konzipieren ihren Unterricht so, dass die Kursteilnahme einen festen Tanzpartner zwingend erfordert. Eine ziemlich fette Schranke, die viele Lernwillige schlicht vom Unterricht abhält. Und Privatunterricht kommt für viele aus wirtschaftlichen Gründen nicht als Dauerlösung in Frage. Ich lernte letztes Jahr durch Zufall einen Tangolehrer in Griechenland kennen, der seinen Gruppenunterricht im Rotationssystem organisiert. Dies bedeutet, dass es in den Kursen keine festen Tanzpaare gibt, sondern alle Schüler als Individuen erscheinen und ein Thema, also eine Figur oder Kombination, innerhalb einer Unterrichtseinheit mit wechselnden Partnern geübt wird. Eventuell zeige ich in einem anderen Post die Vorzüge dieser Methode näher auf. Während meiner Aufenthalte in Griechenland besuchte ich diese Schule eine zeitlang, tauchte in die Community ein, entwickelte eine neue, erfrischend positive sowie einladende Perspektive auf den Tango, wie ich sie bis dahin gar nicht kannte und schon nach kurzer Zeit hatte ich neue Tangofreunde, die mich warmherzig akzeptierten. Nun denken einige vielleicht: So what? Die Autorin ist doch auch Griechin. Richtig, zwar ist Griechenland – so wie auch Deutschland – meine Heimat, aber mich alleine in einer fremden Stadt, in einem fremden Studio, mit fremden Leuten und auch ungewohnter Unterrichtssprache zu begeben, war für mich mit viel Aufwand und Selbstüberwindung verbunden.

Aber die Mühe, die man sich als Solo-Lernender macht, lohnte sich. Mit einem festen Tanzpartner an meiner Seite wären mir kausal viele spannende Abenteuer und inspirierende Begegnungen entgangen. Deshalb möchte ich jeden, der seine Partnerlosigkeit als Mangel oder Behinderung wahrnimmt und vielleicht im Moment damit hadert, ermutigen: Bleib am Ball und verzage nicht! Im Tango bist du nie allein.

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