Mani – Am Rande der Welt – Teil 1

by Niki Xenodimitropoulou

(Video-Link zum Beitrag unten)

Mani heißt der große Mittelfinger auf der Halbinsel Peloponnes in Griechenland. Die Region ist für ihre raue Landschaft sowie die eher schroffe Mentalität ihrer Bewohner bekannt. Die Maniaten glauben, als Gott mit der Schöpfung der Erde fertig war, hatte er noch eine handvoll Steine in seiner Faust übrig. Diese habe er hinter sich über die Schulter geworfen – und Mani war geschaffen. Wenn das mal kein lässiges Selbstverständnis ist….

Im Juli, während eines Familienurlaubs, entschied ich zusammen mit zwei Familienmitgliedern die Halbinsel zu besuchen. Ein perfekt eingespieltes Team für dieses Vorhaben.

Von Arkadien aus brachen wir mit dem Auto in Richtung Süden auf und passierten Sparta mit seinem majestätischen Taygetosgebirge.

Blick auf den Gipfel des Taygetos

Erste Station war die berühmte Tropfsteinhöhe in Vlychada bei Pirgos Dirou. Ein touristisches Highlight der Region. Da ein Großteil des Höhlensystems unter Wasser liegt und mit Booten besichtigt wird, hatten wir aufgrund der begrenzten Anzahl der Plätze unsere Tickets schon einige Tage im Voraus gebucht. Am Eingang eingetroffen, stattete man uns mit Schwimmwesten aus und nach kurzer Wartezeit ging es auch schon eine lange Treppe hinunter in die Unterwelt, wo Charon unser Tourguide bereits am Ufer auf uns wartete. :–)

Wir waren insgesamt sechs Fahrgäste im Boot, genauer gesagt fünf Erwachsene und ein Kind. Das Mädchen, welches in Begleitung seiner Eltern an der Tour teilnahm, sprach deutsch. Ich fragte sie, ob sie sich auf die Fahrt freue. Sie hatte wohl eher gemischte Gefühle. Einerseits freute sie sich riesig, andererseits hatte sie auch Angst vor der Höhle. Unser Tourguide war kompetent, aber nicht gerade der Freundlichste, sondern ziemlich streng. Er gab uns klare Anweisungen, wie wir uns im Boot zu verhalten und zu bewegen hatten. Mit chirurgischer Präzision manövrierte er uns durch die Kanäle und Hallen. Ebenso gut könnte er als Gondoliere in Venedig anheuern.

Das Wasser stand relativ hoch, sodass wir uns häufig ducken mussten, um mit unseren Köpfen nicht gegen Stalaktiten zu stoßen. Intuitiv wich der Vater des Mädchens, der neben mir saß, den herabhängenden Strukturen seitlich anstatt wie angewiesen nach vorne aus, sodass er das Boot einige Male ordentlich zum Wanken brachte. Gekentert sei bisher keines der Boote, versicherte uns der Fährmann.

Die Fahrt durch die Höhle war wie eine Reise durch eine andere Welt. Ein prächtiger Palast mit faszinierenden Tropfsteinformationen und Mustern, der von Mutter Natur geduldig über eine unbegreifbar lange Zeitspanne hinweg erschaffen wurde. Im Anschluss an die spannende Bootsfahrt folgte ein Spaziergang zu Fuß von 300 Metern Länge durch den trockenen Abschnitt der Höhle. Am Ausgang eingetroffen ging es anschließend durch die heiße Mittagssonne die Küste entlang zurück zum Eingangsbereich, wo wir uns erstmal beim Kiosk ein Eis gönnten. :–)

Erfrischt brachen wir schließlich weiter in Richtung Süden auf. Ziel war das Kap Tenaro, der südlichste kontinentale Punkt Griechenlands sowie zweitsüdlichster Punkt Europas.

Die Fahrt durch den spärlich besiedelten Landstrich war zunächst unproblematisch. Rechts das Meer, links das Gebirge. Plötzlich erblickten wir aus der Ferne eine graue Rauchsäule, die uns beunruhigte, je mehr wir uns ihr näherten. Ich hoffte, dass der Brand kein allzu katastrophales Ausmaß annehmen würde und weit genug von unserer Straße entfernt war. Doch wie sich herausstellte, war das Feuer erschreckend nah. Zwei Löschzüge sicherten die Straße als wichtige Verkehrsader der Halbinsel. Wir durften passieren.

Je näher wir uns auf das Kap zubewegten desto schwieriger wurden die Straßenverhältnisse. Eine ältere und an vielen Stellen unzureichend gesicherte Serpentinenstraße brachte uns – vorbei an typisch maniatischen Befestigungstürmen und –mauern – an den Rand der Welt. Die Maniaten glaubten früher, dass das Kap tatsächlich das Ende der Welt war. Wer von dort aus in See stach, fiel unweigerlich in den Hades.

Am Kap angekommen und wohlauf, passierten wir ein Café-Restaurant und ließen auf dem Parkplatz unser Auto zurück, um von dort aus das antike Heiligtum und Totenorakel von Poseidon zu besichtigen. Aber anstelle eines beeindruckenden Tempels, ruhte dort die Ruine einer kleinen byzantinischen Kirche. Diese soll aus den Steinen des Poseidon-Tempels erbaut worden sein, der sich einst mit weiteren Nebengebäuden dort befunden haben soll.

Es war bereits später Nachmittag, aber nach wie vor sehr heiß und trocken. Die Landschaft war imposant, aber der Bau an sich nicht, zumindest nicht von außen. Noch heute schien er jedoch als Kultstätte zu dienen. Innen, im hinteren Teil der Kirche, hatten frühere Besucher verschiedene Dinge an einem Altar niedergelegt, Kerzen, Geldmünzen, Spielzeuge, Briefe und Fotos, die eventuell von Verstorbenen stammten. Das hat mich überrascht und auch irgendwie tief berührt.

Nekromanteion /Totenorakel von Poseidon
Altar mit Devotionalien

Wir persönlich gingen mit nichts hinein und auch mit nichts wieder hinaus. Das eigentliche Orakel war genau genommen auch gar nicht die Kirche als Nachfolger des Poseidon-Tempels, sondern eine nahegelegene, natürliche Unterhöhlung in Ufernähe, die mit Gestrüpp bedeckt und vom Hügel aus nicht zu sehen war. Dort lauschten einst die Klienten in den Wellen der Stimmen der Verstorbenen aus der Unterwelt. Ich frage mich, wie sie auf die Idee kamen, an diesem Ort mit dem Jenseits in Kontakt zu treten. Möglicherweise war er tatsächlich heilig. Oder aber es gab dort ein akustisches Phänomen, das die Menschen damals unheimlich fanden und sie glauben ließ, als handele sich um Stimmen von Geistern. Eventuell bloß Echos des Meeresrauschens. Ich hörte dort nichts Ungewöhnliches, allerdings war ich auch keine Klientin des Orakels. Auch sonst war an diesem Ort nichts „tot“, außer vielleicht mein Handyempfang. Seltsamerweise hörte man dort keine einzige Zikade, aber das muss nichts heißen. Vielleicht war es denen einfach zu heiß.

Das eigentliche Totenorakel ist eine Höhle und wird fälschlicherweise für den Zugang zum Hades gehalten.

Am Kap Tenaro soll sich ein berühmter Zugang zum Hades befinden. Dort war gemäß der griechischen Mythologie Orpheus in die Unterwelt hinabgestiegen, um die Götter zu überzeugen, seine geliebte Frau Eurydike aus dem Totenreich mitzunehmen zu dürfen. Diese ließen sich aufgrund seiner beispiellosen Gesangskunst erweichen und so durfte er seine geliebte Frau mitnehmen. Allerdings durfte er sich auf dem Weg in die Oberwelt unter keinen Umständen zu Eurydike umdrehen. Anderenfalls würde sie für immer in der Unterwelt verbleiben. Orpheus und Eurydikes Flucht scheiterte. Eurydike starb erneut und fiel zurück in den Hades, während ihr Gatte allein und totunglücklich in das Reich der Lebenden zurückkehren musste.

Viele Besucher dieser Stätte glauben, dass ein Erdloch in der Nähe des Tempels den Zugang in die Unterwelt darstellt. Dies ist jedoch falsch. Die Höhle, die den vermeintlichen Zugang darstellt, ist nicht landläufig zu erreichen.

Nachdem wir das Totenorakel besichtigt hatten, erkundeten wir noch ein wenig die Gegend. Für eine Wanderung zur Spitze des Kaps, an der sich ein wunderschöner Leuchtturm befindet, fehlte uns nach diesem langen Tag und angesichts der anhaltend heißen Temperaturen schlichtweg die Kraft.

Stattdessen besuchten wir die Ruinen einer antiken römischen Villa.

Im Anschluss tranken wir noch etwas im Café und traten die Rückfahrt an. Das Feuer, das wir auf dem Hinweg passierten, war inzwischen durch den Einsatz von Löschflugzeugen, welche am Abend noch über dem Gebiet kreisten, zum Glück unter Kontrolle und fand neben weitaus gravierenderer Waldbrände, die in Griechenland wüteten, keinerlei Erwähnung in den Nachrichten.

Fazit: Mani ist eine sehr faszinierende und mystische Halbinsel. Sie scheint viele Geheimnisse zu bergen, die sich nur denjenigen offenbart, die bereit sind genauer hinzusehen. Gerne möchte ich eines Tages dorthin zurückkehren.

Hier noch das Video zum Trip:

Solo con Tango

Ohne festen Tanzpartner Tango Argentino zu erlernen, ist alles andere als leicht.

Da ich aus eigener Erfahrung sehr genau weiß, wie schwer es ist, Rückschläge und menschliche Enttäuschungen zu erleiden und sich ohne Hilfestellung oder besondere Privilegien immer wieder aufs Neue zu motivieren, habe ich grundsätzlich mehr Respekt vor den Lernerfolgen und den Fähigkeiten Solo-Lernender als vor Tänzern, die eingebettet in langfristigen und soliden Tanzpartnerschaften den Tango „safe“ praktizieren. Solo-Lernende sind sozusagen die Alleinerziehenden unter den Tänzern. Sie haben alle Hände voll zu tun, um voran zu kommen. Man kann es drehen und wenden wie man will und ich möchte da auch niemanden vor den Kopf stoßen. Aber Paare haben es einfach leichter, die notwendigen Techniken systematisch und schnell zu erlernen. Aber eben nur die Technik. Wie wir alle wissen, ist Tango weit mehr als das!

Feste Tanzpaare vergeuden ihre Energie jedenfalls nicht für die Suche und laufen auch nicht Gefahr, an Leute zu geraten, die sie beispielsweise übervorteilen oder ausnutzen wollen. Wie in Watte gepackt erforschen sie – stressfrei und kontinuierlich – den Tango, haben im Grunde immer jemanden zum Üben verfügbar, bündeln ihre Ressourcen, teilen sich oftmals die Fahrt zum Kurs, zu Milongas und Festivals etc. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tanzen sie ihren unaufregenden Tango noch heute. Gähn…

Das ist keineswegs zynisch gemeint, sondern entspricht lediglich meiner Beobachtung. Ich habe unweigerlich viele solche Paare beobachtet. Sie erlernen, je nach Kompetenz ihrer Lehrer, durchaus einen auf den ersten Blick ansehnlichen Tango, wirken aber bei näherer Betrachtung oft irgendwie auch gelangweilt und leidenschaftslos. Als würden sie im heimischen Wohnzimmer napflixen.

Manche von ihnen, insbesondere Tanzpaare, die auch eine Lebenspartnerschaft oder Ehe miteinander pflegen, tanzen sogar ausschließlich miteinander. Diese Art von Exklusivität ist natürlich ihr unbestreitbares Recht, aber nach meinem Verständnis sind das keine wirklichen Tangotänzer, sondern vielmehr Performer, die durch ihr Eingespieltsein meist schon relativ genau wissen, welcher Figur der Führende als nächstes plant oder wie der Folgende reagiert. Denn unbewusst etabliert man beim Tanzen dieselben oder ähnliche Bewegungsmuster, vor allem wenn man zu bekannteren und häufig gespielten Musikstücken tanzt. Irgendwann stagniert die Entwicklung unweigerlich. Selbst bei Profi-Paaren, die nur oder hauptsächlich miteinander trainieren, kann man dieses Phänomen beobachten.

Mein Lehrer erläuterte im Gruppenunterricht einst sinngemäß, einmal mit einer fremden Tanzpartnerin zu üben sei so effektiv wie zehnmal mit der eigenen Partnerin zu tanzen. Er hatte Recht, auch wenn ich das als Anfängerin noch nicht verstand. Tanzen zwei Personen immer nur ausschließlich miteinander, ist das irgendwie so als würden sie eine Geheimsprache austüfteln. Sie machen es sich in einer gemeinsamen Komfortzone bequem oder schließen die Tür ab. So entsteht ein in sich geschlossenes System, in das kaum neuen Impulse vordringen bzw. vordringen können. Letztendlich leben sie den Tango nicht, sondern imitieren ihn vielmehr, obwohl ihr „Werkzeugkasten“ technisch gesehen gut bestückt ist. Aber sie schöpfen ihn aus Bequemlichkeit und anderen Gründen kaum aus.

Wenn man nur mit einem einzigen Menschen Tango tanzen kann, hat man den Tango nicht sonderlich tiefgreifend erforscht, sondern kratzt immer nur an der Oberfläche. Dieses Eingespieltsein solcher Paare hat meines Erachtens mit Tango nicht viel zu tun. Tango ist ein Improvisationstanz, in welchem kein Moment dem anderen gleicht. Zudem geht bei solchen Konstellationen der soziale Faktor, um den es im Tango de Salón schließlich geht, faktisch gegen null. Früher habe ich feste Tanzpaare zugegeben beneidet und mir wehmütig jemand Passendes gewünscht, der diesen Weg mit mir als eine Art Sportsfreund teilt. Heute bemitleide ich sie eher, denn sie tanzen neben der Community her ohne wirklich Teil davon zu sein.

Wenn gerade kein Trainingspartner verfügbar ist,
muss zur Not auch mal eine alte Lok für Voleos herhalten. :–)

Als „Einzelkämpfer“ lebt man hingegen alles andere als isoliert und in Watte gepackt, sondern nicht selten durch Schmerz und wird in vielerlei Hinsicht geformt und abgehärtet. Nicht nur tanztechnisch, sondern auch charakterlich. Das ist alles andere als angenehm und nicht jeder Mensch ist dafür geschaffen und stark genug, Tango auf diese Weise zu erforschen. Aber der Stress lohnt sich, denn sich überwiegend alleine zu organisieren, verbessert auch die eigene Problemlösungskompetenz, wovon man auch in anderen Lebensbereichen profitiert. Insofern wäre eine langjährige feste Tanzpartnerschaft für mich nicht nur nicht mehr erstrebenswert, sondern würde meine weitere Entwicklung und Reise zum Tango nur behindern. Für Pragmatiker mag das sinnvoll sein, aber für Idealisten und Abenteurer hat das keinen großen Reiz.

Das Einzelkämpferdasein bringt manchmal sogar besondere Talente hervor. Ein Beispiel:

Bei einem Tango-Marathon in der Nähe von Koblenz etwa hatte ich vor einigen Wochen eine der schönsten Tandas mit einer sehr sympathischen jungen Tänzerin. Sie konnte hervorragend führen und tanzte außerordentlich temperamentvoll und musikalisch. Viele andere Frauen, mit denen ich bisher getanzt habe, haben meist irgendwie Hemmungen oder Berührungsängste, vor allem in der Abrazo, was hauptsächlich bestimmten anatomischen Begebenheiten geschuldet ist. Aber diese sind nur ein Problem, wenn man sie künstlich zum Problem macht. Die Dame war jedenfalls selbstbewusst und hatte eine sehr gute und ehrliche Umarmung. In ihrer gesamten Art war sie kongruent und authentisch. So stellten wir entspannt und natürlich die perfekte Verbindung her und schufen damit die Basis für einen schönen Tanz. Ich fragte sie hinterher, wo sie gelernt hat so gut zu tanzen und vor allem – was wirklich außergewöhnlich ist – so souverän zu führen. Sie antwortete, dass sie in einer kleinen Tanzschule gelernt hatte, in der es viel zu wenige Männer gab. Sie wollte aber einfach unbedingt tanzen und so lernte sie eben selbst zu führen. Sie beherrscht nun beide Parts, ist Führende und Folgende, und zwar jeweils auf hervorragendem Niveau. Einfach nur cool.

Anderes Beispiel:

In den deutschen Communities wird teilweise sehr schmutzig um Tanzpartner gefeilscht und gestritten. Konkurrenzkämpfe, Manipulation, Intrigen, Diebstahl etc. sind da leider an der Tagesordnung. Ich nenne dies die Dunkle Seite des Tango, über die durch seine romantische Verklärung so gut wie nie gesprochen wird. Aber sie existiert und ist genauso Teil der Tangogesellschaften wie Kriminalität ein Teil der Gesellschaft ist. Wer einen patenten Tanzpartner ergattert hat, muss oft um ihn fürchten. Denn die Konkurrenz schläft niemals und manche Menschen gehen über Leichen, um Tango zu lernen. Ein sehr erfahrener und etablierter Tänzer meiner Community erleuchtete mich einst in meiner Naivität: „Niki, wenn du wüsstest, was manche Frauen alles tun, um Tango zu lernen….das ist einfach nur widerlich…..“

Sich auf solche Spiele einzulassen, kam und kommt für mich nicht in Frage. Beispielsweise mit einer anderen Tanguera um einen Tänzer zu kämpfen, würde diesen nur auf unadäquate Weise erhöhen und mich zugleich erniedrigen. Egal wer den (hypothetischen) Kampf gewänne, hätte ihn im um Grunde zugleich verloren. Denn der Kampf erzeugt eine Schieflage, in der die Begegnung mit dem gewonnenen „Objekt der Begierde“ auf Augenhöhe kaum mehr möglich wäre. Eine für mich inakzeptable Ausgangslage. Stress und Verlustängste sind kein fruchtbarer Boden für schönen Tango.

Anstatt meine Zeit und Energie also mit der Suche oder Verteidigung eines festen Tanzpartners oder sonstige komplizierte soziale Verstrickungen zu verpulvern, begann ich nach alternativen Möglichkeiten zu suchen, mich im Tango weiterzuentwickeln. Die meisten Tangostudios in meiner Gegend konzipieren ihren Unterricht so, dass die Kursteilnahme einen festen Tanzpartner zwingend erfordert. Eine ziemlich fette Schranke, die viele Lernwillige schlicht vom Unterricht abhält. Und Privatunterricht kommt für viele aus wirtschaftlichen Gründen nicht als Dauerlösung in Frage. Ich lernte letztes Jahr durch Zufall einen Tangolehrer in Griechenland kennen, der seinen Gruppenunterricht im Rotationssystem organisiert. Dies bedeutet, dass es in den Kursen keine festen Tanzpaare gibt, sondern alle Schüler als Individuen erscheinen und ein Thema, also eine Figur oder Kombination, innerhalb einer Unterrichtseinheit mit wechselnden Partnern geübt wird. Eventuell zeige ich in einem anderen Post die Vorzüge dieser Methode näher auf. Während meiner Aufenthalte in Griechenland besuchte ich diese Schule eine zeitlang, tauchte in die Community ein, entwickelte eine neue, erfrischend positive sowie einladende Perspektive auf den Tango, wie ich sie bis dahin gar nicht kannte und schon nach kurzer Zeit hatte ich neue Tangofreunde, die mich warmherzig akzeptierten. Nun denken einige vielleicht: So what? Die Autorin ist doch auch Griechin. Richtig, zwar ist Griechenland – so wie auch Deutschland – meine Heimat, aber mich alleine in einer fremden Stadt, in einem fremden Studio, mit fremden Leuten und auch ungewohnter Unterrichtssprache zu begeben, war für mich mit viel Aufwand und Selbstüberwindung verbunden.

Aber die Mühe, die man sich als Solo-Lernender macht, lohnte sich. Mit einem festen Tanzpartner an meiner Seite wären mir kausal viele spannende Abenteuer und inspirierende Begegnungen entgangen. Deshalb möchte ich jeden, der seine Partnerlosigkeit als Mangel oder Behinderung wahrnimmt und vielleicht im Moment damit hadert, ermutigen: Bleib am Ball und verzage nicht! Im Tango bist du nie allein.

Was, wenn du den perfekten Partner hättest?

von Christos Kouroupetroglou

Originaltitel: „What if you had the perfect partner“

Quelle: Goodnight Tango  

Übersetzung: Niki Xenodimitropoulou

ChatGPT und Tango-Dialoge

Einer meiner früheren Beiträge hatte den Titel The Imitation Game und befasste sich mit Aspekten darüber, wie sich Gemeinschaften unterscheiden und was sie beeinflusst. Der Titel war inspiriert durch den gleichnamigen Film über das Leben von Alan Turing, den viele als den Vater der modernen Informatik bezeichnen. Eines der berühmtesten von Turing geschaffenen Prinzipien ist der Turing-Test, mit dem man ein System als künstliche Intelligenz klassifizieren kann. Das Prinzip ist einfach. Nehmen wir an, ein Mensch interagiert über eine Schnittstelle mit etwas, das ein Chat, ein Spiel etc. sein könnte. Wenn die Person während der Interaktion nicht erkennen kann, dass sie mit einer Art Maschine interagiert, oder anders gesagt, wenn sie das Gefühl hat, mit einem anderen Menschen zu interagieren, dann kann das System auf der anderen Seite als KI eingestuft werden.

Wer schon einmal versucht hat, mit ChatGPT und anderen ähnlichen Chatbots zu chatten, weiß, dass die Antworten eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Dialog mit einem Menschen aufweisen. Diese Tools werden von Menschen bereits als KI eingestuft. Viele jedoch, wie Noam Chomsky, stellen fest, dass die Maschine die Begriffe, über die sie schreibt, nicht versteht. Diese Tools arbeiten bisher mehr oder weniger als Prognose-Tools. Sie haben unzählige Texten erfasst und können berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Wort auf ein anderes folgt, und so konstruieren sie ihre Antworten. Abgesehen vom Fakten-Check und anderen Bedenken möchte ich mich hier auf das letztendliche Potenzial der KI für Tango konzentrieren.

Wie wir oft zu sagen pflegen (und ich in fast jedem meiner Beitrag schreibe), ist Tango wie ein Dialog zwischen den Partnern. Tools wie ChatGPT könnten in Zukunft zahlloseso Videos von tanzenden Menschen analysieren, um Choreografien zu entwickeln oder sogar Choreografien im Handumdrehen anhand eines bestimmten Musikstücks und der Live-Reaktionen eines menschlichen Partners zu erstellen. Sie könnten das tun, was ein gewöhnliches Paar auf der Tanzfläche so tut. Das Einzige, was noch fehlt, ist die Schnittstelle… eine Möglichkeit, mit dem Partner zu kommunizieren (Informationen zu übermitteln und zu empfangen).

Blick in die Robotik

Die Robotik ist ein weiterer Bereich, der in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht hat. Boston Dynamics hat bereits viele Videos von Robotern veröffentlicht, die zu vorprogrammierten Choreografien tanzen. Natürlich erfordert das Tanzen von Tango eine andere, menschenähnlichere Form eines Roboters, aber ich denke, auch das ist nicht mehr weit entfernt. In Bereichen wie der Erotikindustrie wird bereits an Aspekten der Robotertechnik gearbeitet, um sie menschlicher zu machen, sogar was den Tastsinn anbelangt.

Berücksichtigt man all diese Aspekte, ist es also durchaus denkbar, dass Roboter auf viele verschiedene Arten sowie auch Tänze eingesetzt werden, wobei der Tango einer davon ist. Die Anwendungsbereiche könnten vom ganz gewöhnlichen Tangolehrer oder Übungspartner, der die für den Tanz erforderliche Körpermechanik erklären und lehren kann, bis hin zum Ersatz von Taxitänzern reichen. Die Frage ist, ob wir als Menschen sie akzeptieren würden und bis zu welchem Punkt? Würden solche Anwendungen sogar zu weiteren Stilrichtungen in den Communitys führen, wie die bereits bestehenden Stile Salon, Milonguero, Nuevo etc.? Würden die Menschen das Tanzen mit einem Roboter als echten Tanz ansehen… oder als etwas anderes? Wären wir imstande, vielleicht sogar Showaufführungen von Mensch-Roboter-Tänzen zu akzeptieren?

Würdest du mit mir tanzen?

Die grundsätzliche Frage, die dem Ganzen zugrunde liegt, lautet also: Würdest du mit einem solchen Roboter tanzen? Angenommen, es wäre ihm möglich, sich wie ein Mensch zur Musik zu bewegen und auf deine Bewegungen zu reagieren… würdest du es in Betracht ziehen, mit ihm zu tanzen? Ich habe diese Frage vor ein paar Wochen in der Gruppe Tango Friends gestellt, die etwa 20000 Mitglieder hat. Die Diskussion war recht interessant, und ich muss sagen, dass viele ihn für das Unterrichten und Üben in Betracht ziehen würden, aber weitaus weniger würden ihn für eine Tanda in einer Milonga bevorzugen (obwohl es durchaus auch Antworten gab, die dies befürworteten). Einige gaben wiederum ganz klar an, dass sie nicht einmal darüber nachdenken würden. Offensichtlich gehen die Meinungen zu diesem Thema weit auseinander, und ich erwarte, dass sich die Stimmung in der Zukunft je nach technologischem Fortschritt ändern wird.

Interessanterweise habe ich die gleiche Frage vor einigen Monaten auch ChatGPT gestellt und ich muss sagen, dass ich von der Antwort wirklich beeindruckt war. Vor allem als es um die Gründe ging, warum man dies tun würde. Die meisten Antworten von ChatGPT waren die gleichen wie die, die die Leute in ihren Antworten genannt haben. Einer der Gründe, der in den Antworten der Leute übersehen wurde, war jedoch die Sozialangst. Ich verstehe, dass die meisten Menschen in einer Facebook-Gruppe zum Thema Tango ihre Ängste überwunden haben, also ist es nur natürlich, sie nicht zu erwähnen. Außerdem kann es ein Tabu sein, solche Ängste und Befürchtungen in einer Gruppe von tausend potenziellen Partnern offen darzulegen. Aber dieser Grund ist womöglich eine Anwendungsmöglichkeit für die Robotik im Tango, die uns dabei behilflich sein könnte, es denjenigen von uns leichter zu machen, die tatsächlich mit solchen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Womöglich können Roboter in der Zukunft Menschen dabei helfen, ein wenig länger bei diesem Hobby zu bleiben und die Probleme der sozialen Ängste zu überwinden, mit denen sie anfangs vielleicht konfrontiert sind. Eventuell können sie uns dabei helfen, unsere Communitys auf eine gesündere Weise zu erweitern.

Der Weg ist das Ziel

Um jedoch auf die Frage zurückzukommen. Der menschliche Tänzer ist fehleranfällig… er kann einen guten oder schlechten Tag haben… er kann die Musik gut oder schlecht kennen… kurz gesagt… er ist nicht zuverlässig. Der Roboter hingegen ist 100% zuverlässig. Er wird niemals müde, er kennt die Musik, er wird nicht durch frühere Erfahrungen beeinflusst, also kann er keinen schlechten Tag haben, etc…. ganz zu schweigen davon, dass der Roboter dir gehören könnte! Würdest du mit einem Roboter tanzen, wenn du all das berücksichtigst? Würdest du lieber mit einem Roboter als mit einem menschlichen Tänzer tanzen?… und die noch wichtigere Frage ist… Warum?

Allein über die Antwort nachzudenken, ist meiner Meinung nach eine sehr interessante Reise. Sie kann uns Aufschluss darüber geben, was wir an diesem Tanz schätzen. Die Antwort wird natürlich nicht für jeden dieselbe sein, und vielleicht werden die Menschen am Ende ihre Meinung ändern und umdenken, wenn diese technologischen Anwendungsmöglichkeiten Realität werden. Aber der Weg zur Antwort oder besser noch der Weg zwischen den verschiedenen Antworten, die eine Person in Zukunft geben könnte, ist das Wichtigste.

Der heutige Goodnight Tango

Ich werde dir keine Antwort geben, denn ich stehe noch am Anfang dieser Reise. Wie ich schon sagte, gibt es nicht die eine Antwort… nicht einmal für ein und dieselbe Person. Es gibt nur eine einzigartige Reise zu den verschiedenen Antworten, die jeder von uns unternehmen sollte, mit dem eigenen Herzen als Kompass… als Wegweiser, wie der Titel des heutigen Goodnight Tango sagt.

Wenn du bis hierher gelesen hast…
Dankesehr und Glückwunsch!
Du bist am Ende angelangt!
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IV Tango ist…

Tango ist, wenn man die Freiheit hat zu tanzen mit wem man will.


Kleine Kompromisse muss man als soziales Wesen im Umgang mit der Gesellschaft oft im Alltag eingehen. Aber es gibt Bereiche des Lebens, da sollte man besser keine Abstriche machen. Zum Beispiel bei der Wahl des Lebenspartners:

Wenn man in der Liebe entgegen seiner tatsächlichen Präferenzen aus rein pragmatischen Erwägungen eine Zweckverbindung eingeht (z.B. Vernunftehe wegen finanzieller Sicherheit), dann leugnet man seine wahren Bedürfnisse. Unweigerlich quält das die eigene Seele, egal wie sehr man versucht, seine Wahl vor sich selbst oder vor anderen zu legitimieren. Meist mündet das in Überkompensation und Propaganda („Seht her, ich habe alles richtig gemacht!“)
Spätestens, wenn man sich jeden Abend zur angeblich „richtigen Wahl“ ins Bett legt, weiß man im Inneren genau, dass man an seinen wahren Träumen Lichtjahre vorbei lebt. Die Sehnsucht nach Wärme und Leidenschaft bleibt in solchen Konstellationen oft auf der Strecke. Das Ergebnis: Frust.

Im Tango ist es nicht anders als in der Liebe. Wenn man sich auf eine Tanda mit jemandem — aus welchen Gründen auch immer — einlässt, mit dem man in Wahrheit gar nicht tanzen will, zählt man die Minuten oder denkt an den morgigen Supermarkteinkauf, um die Zeit irgendwie totzuschlagen. Es quält einen und man ist froh, wenn die Tanda endlich vorbei ist.

Im Gegensatz zur Partnerwahl in der Liebe, die einen unter Umständen jahrelang oder im worst case sogar ein Leben lang begleitet, ist die falsche Wahl im Tango allerdings nicht allzu verheerend. Die Tanda ist schließlich nach ein paar Minuten wieder vorbei. Auch vom falschen Kurspartner kann man sich nach einer Testphase wieder lösen und seine Suche nach dem „perfekten Partner“ fortsetzen.
Aber dennoch ist die Verbindung ab dem Zeitpunkt der Erkenntnis irgendwie belastend.

Sitzende Tangueras

Um auch bei wichtigen Lebensentscheidungen die nötige Zuversicht aufzubringen, „Nein“ zu jemandem zu sagen oder umgekehrt nur dann „Ja“ zu sagen wo man es tatsächlich empfindet, ermutige ich andere Tangueras zu mehr Mut und Stolz. Leider folgen viele von ihnen wahllos und inflationär jeder Einladung, etwa aus Angst sitzen zu bleiben. Das Vorgehen ist nicht nur bedauernswert, da es von einem Mangel an Freiheitsgefühl und Selbstvertrauen zeugt. Nicht zuletzt verderben sie auch die „Preise“ zulasten aller Tänzerinnen.

Mit diesem Missstand sollte zum Vorteil aller Tänzerinnen und Tänzer aufgeräumt werden. Denn ist es nicht sehr viel schöner, mit dem richtigen Menschen zusammen zu sein….?

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