Eins mit der Musik

[Warnung: der Beitrag enthält SPOILER zum Film „Rogue One: A Star Wars Story“]

Es dauert für gewöhnlich eine ganze Weile, aber wenn man mitten im Tangoleben angekommen ist, also schon diverse Kurse und Workshops in petto hat, regelmäßig Milongas besucht und die ersten Kontakte geknüpft hat, baut man die anfänglichen Hemmungen und Unsicherheiten langsam aber sicher ab. Zumindest erging es mir so. Mit zunehmender Erfahrung plagten mich nun nicht mehr diese anfänglichen, eher banalen Sorgen, ob ich etwa gut genug tanze oder mein Outfit richtig sitzt usw. Wichtig war von nun an nur der besondere Moment, den man mit diesem einen Menschen teilt.

Obwohl ich ab diesem Entwicklungsstadium wesentlich offener und entspannter in die Begegnungen hineinging, überforderte mich manchmal die Intimität, die das Tangotanzen nunmal unweigerlich erzeugt. Diese kommt ohne große Ankündigung wie aus dem Nichts! Cabeceo – fertig – los! Irgendwie erschien und erscheint diese rasante Entwicklung unnatürlich, vor allem wenn man bedenkt, wie lange es in anderen Lebensbereichen dauert bis Menschen sich einander annähern. Beim Tango ist es anders: plötzlich findet man sich in den Armen eines Fremden wieder und das nicht selten sogar mehrmals an einem Abend. Und dann geht es auch schon unmittelbar los, dieses ständige Geben und Nehmen von Energie….Wärme….und was weiß ich nicht alles.

Damit mich diese Intimität in der Abrazo nicht zu sehr überfordert, suchte ich nach einer Art Anker. Diesen fand ich letztendlich in der Musik. Beim Tanzen genauer hinzuhören, also meine Aufmerksamkeit gezielt auf die Melodien, Rhythmus und einzelne Instrumente zu richten, brachte nicht nur meine Gedanken und Gefühle zur Ruhe, sondern leitete mich zugleich an. Um diesen geistigen Fokus bewusst einzuläuten, dachte ich mir zunächst folgendes Mantra aus:

Ich bin eins mit der Musik

Dahinter verbirgt sich offen gestanden lediglich mein Wunschdenken, meine Bewegungen zum Ausdruck der Musik werden zu lassen bzw. sie mit ihr in Einklang zu bringen ohne(!) mir dabei untreu zu werden. Nach diesem Spagat strebe ich im Tango und er ist alles andere als leicht. Es gelingt mir bislang nur selten, aber dann freue ich mich umso mehr! Denn obwohl ich schon eine zeitlang Tango tanzte, hatte ich mich mit der Musik und der Musikalität bis dato kaum befasst. Erst vor kurzem habe ich überhaupt damit begonnen. Dabei scheint die Musik der Schlüssel zum Tangohimmel zu sein. Man tanzt Tango schließlich nicht trotz der Musik, sondern gerade wegen der Musik.

Als Science-Fiction-Fan musste ich bei meinem Mantra-Entwurf zwangsläufig an ein Zitat aus „Rogue One: A Star Wars Story“ aus dem Jahr 2016 denken, nämlich an das legendäre Mantra des blinden Kriegermönchs Chirrut Îmwes (gespielt von Donnie Yen), welches übersetzt lautet: „Ich bin eins mit der Macht. Die Macht ist mit mir.“ (orig. I am one with the Force, and the Force is with me.). Von dieser Figur war ich schwer beeindruckt. Mit diesem Mantra bekannte sich der machtsensitive Mönch, welcher Mitglied des Ordens Wächter der Whills (Guardians of the Whills) war, die Macht zu kennen, zu achten und zu spüren, sich ihr hinzugeben, sich in Harmonie und Einklang mit ihr zu befinden und sich somit ihrer wohlwollenden Unterstützung jederzeit gewiss zu sein.

Diese Interpretation wird nicht zuletzt auch durch die ebenfalls von Chirrut gepredigte Langfassung gestützt „Die Macht ist mit mir. Ich bin eins mit der Macht. Und ich fürchte nichts, weil alles so ist wie die Macht es will“ (orig. The Force is with me, and I am one with the Force. And I fear nothing, because all is as the Force wills it.g). Gemäß ihrer religiösen Praxis zogen die Wächter es jedenfalls vor, die Macht und ihre Präsenz zu spüren, wohingegen im Vergleich hierzu, die Jünger der Whills (Disciples of the Whills)sich eher damit beschäftigen, ihr zuzuhören und ihren Willen zu ermitteln (Quelle: Lucasfilm Ltd. LLC, The World Disney Company. „Rogue One: A Star Wars Story“. Regie: Gareth Ewards, 2016.)

Was das mit Tango zutun hat? – Nun, die Welt des Tango Argentino ähnelt ebenfalls einem religiösen Kult und die Praktizierenden hegen nicht selten eine spirituelle Haltung zu Musik und Tanz.

Die Musik leitet den Tänzer im Grunde so an wie die Macht den gläubigen Mönch. So wie die Macht alle Materie, also alles Lebende und Nicht-Lebende bedingt, durchströmt und zusammenhält, so ist auch die Musik die unverzichtbare zentrale Kraft, die das Tanzen bzw. Tanzenwollen sowie letztendlich alles, was sich im Tango und auch zwischen den Zeilen abspielt, überhaupt kausal ermöglicht.

Motiviert durch mein obiges Wunschdenken und inspiriert von Chirruts Worte, ergänzte ich mein zweites Tangomantra und denke mir oft noch heute zu Beginn einer Tanda:

Ich bin eins mit der Musik und die Musik ist mit mir

…möge die Musik auch mit euch sein. Immer. ;–)

Jiaogulan – forever young

Unsterblichkeit mag für Viele vielleicht verlockend klingen. Der Traum vom ewigen Leben dürfte wohl so alt wie der Mensch über seine Existenz reflektieren kann. Aber ich persönlich finde es nicht erstrebenswert, ewig zu leben. Das Leben ist spannend und kostbar, gerade weil seine hellen und dunklen Momente quantitativ limitiert sind. In ihrer Qualität hingegen sind ihnen manchmal keine Grenzen gesetzt. Damit gebe ich mich zufrieden – zumindest auf dieser Existenzebene. Allerdings bin ich schon irgendwie froh, dass die Lebenserwartung von Frauen und Männern dank Wissenschaft und Medizin deutlich gestiegen ist. Lebte ich beispielsweise im 19. Jhd, so hieße es für mich – zumindest statisch betrachtet – schon bald game over. So eilig hätte ich es dann doch nicht. :–)

Gegen das Altwerden ist an sich nichts einzuwenden. Aber um jeden Preis uralt werden? Wenn schon altern, dann doch bitteschön mit Würde und bei bestmöglicher Gesundheit! Ein hohes Alter unter Gebrechen, Gelenkprothesen und Stents oder unter geistigem Abbau zu erreichen, um dann irgendwann wie ein Zombie im Pflegebett vor sich hin zu vegetieren und seine eigenen Kinder und Enkel nicht wiederzuerkennen, klingt irgendwie nicht gerade glamourös. Was hat sich die Natur eigentlich dabei gedacht, dem Menschen diesen langwierigen und leidvollen Verfall zuzumuten, der in Relation zur gesamten Lebensspanne in vielen Fällen einen nicht unbeachtlichen Zeitraum einnimmt? Und war das denn wirklich so geplant oder war das nicht vielleicht doch ein Fehler der Evolution? Na ja damit können sich gerne die Gerontologen befassen.

Die Themen Aging und Anti-Aging fand ich schon immer spannend, noch lange bevor diese Begriffe in aller Munde waren. Insbesondere das, was die Kräuterheilkunde in diesem Zusammenhang zu bieten hat, um das Altern zu verzögern. Bereits als junge Teenagerin schätzte ich die gesundheitsfördernde Wirkung von Tee. Ich trank Unmengen grünen Tee. Mein Favorit wurde später abgelöst von der edlen weißen Variante. Dann griechischer Bergtee usw.

Als Teeliebhaberin und Fan der Phytopharmazie bin ich vor einigen Monaten auf „Jiaogulan“ gestoßen, zu Deutsch das Unsterblichkeitskraut. Der botanischer Name lautet Gynostemma pentaphyllum. Unsterblichkeit ist schon eine markige Ansage! Die Pflanze zählt zu den Kürbisgewächsen, stammt aus Ostasien und ist fester Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin. Übertreibungen im chinesischen Sprachgebrauch sind mir seit meiner China-Rundreise 2017 nicht unbekannt. Fest entschlossen, direkt mit einem Kopfsprung in die Traditionen einzutauchen, bestellte ich mir damals auf meinem Flug von München nach Beijing ein traditionelles chinesisches Frühstück anstelle eines kontinentalen Frühstücks . Neben einem faden bekömmlichen Reisschleim, lag da plötzlich ein in Plastikfolie eingeschweißtes „tausendjähriges Ei“. Als man mir sagte, was das sei, bekam ich erstmal einen Schrecken und ließ das Ding ratlos in meiner Handtasche verschwinden. Wohin bloß mit dieser Hühnereimumie?! Später erfuhr ich dann, dass es sich um eine Delikatesse handelt, diese Eier jedoch nicht tausend Jahre, sondern in Wahrheit maximal ein paar Jahre alt sind. Diese Art der maßlosen Übertreibung finde ich liebenswürdig, denn sie zeugt von einer kindlichen und phantasiereichen Mentalität der Chinesen.

Zurück zum Tee. Die Konsum des Jiaogulan soll gegen viele Zivilisationskrankheiten helfen, aber hierzulande ist er kaum bekannt. Einige seiner insgesamt über 100 Saponine findet man auch im berühmteren Ginseng, genauer gesagt in Panax ginseng. Deshalb wird die Pflanze auch Frauenginseng genannt. Allerdings enthält er dreimal so viele Saponine wie Ginseng. Daneben sind verschiedene Vitamine, Spurenelemente, Glykoside, Aminosäuren und Polysaccharide enthalten. Saponine haben in der Naturmedizin adaptogene Wirkung und sollen mitunter stressinduzierten Krankheiten entgegenwirken und vorbeugen. Der Konsum des Jiaogulan soll mitunter das Wohlbefinden fördern, die Konzentrationsfähigkeit steigern und Müdigkeit verringern. Zudem wird ihm nachgesagt, dass er das Cholesterin senkt, den Blutdruck reguliert und die Insulinsensitivität erhöht. Allerdings gibt es bisher keine fundierten Nachweise, da die Studienlage unzureichend ist. Es ranken jedoch viele Mythen um die Pflanze. So soll es in den Regionen Chinas, wo der Tee als Nationalgetränk gilt und häufig konsumiert wird, besonders viele Überhundertjährige geben und auch die Krebsrate ungewöhnlich gering sein. Insofern scheint die Pflanze zwar nicht unsterblich zu machen, sondern allenfalls zu einer guten Gesundheit beizutragen, die ein langes Leben begünstigt.

Versuch macht klug. Nach all meinen Recherchen zu der Wirkung dieser Heilpflanze war meine Neugier geweckt und ich suchte nach einem Anbieter in Deutschland. Schnell stellte ich fest, dass die Pflanze hierzulande gar nicht als Tee gekauft wird.

Im Jahr 2022 wurde Jiaogulan vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg als zulassungspflichtiges neuartiges Lebensmittel eingestuft. Nach Begutachtung durch das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe sei die Pflanze als Lebensmittel zulassungspflichtig. Bis also das entsprechende Zulassungsverfahren durchlaufen und erfolgreich abgeschlossen ist, darf die Pflanze im Sinne des Verbraucherschutzes nicht als Tee oder sonstiges Lebensmittel in Umlauf gebracht werden. Da ein solches Verfahren kostspielig ist, kann es also noch dauern. Mangels entsprechender Zulassung darf er gegenwärtig nur als Dekoration verkauft werden, quasi als eine Art Potpourri.

Bis die Unschädlichkeit des Konsums nachgewiesen ist, fließt viel Wasser den Rhein und den Jangtse runter. Da mir bei meinen Recherchen keine zwingenden Hinweise untergekommen ist, die für eine Toxizität der Pflanze und ihrer Bestandteile sprechen, habe ich mir 500 g getrocknete Blätter laborgeprüften Jiaogulans von einer aus meiner Sicht vertrauenswürdigen Quelle besorgt, einen Teelöffel davon mit 80 Grad heißen Wasser aufgebrüht und 10 Minuten ziehen lassen. Wenn schon, denn schon!, dachte ich mir. Parallel zum Verfassen dieses Posts trinke ich nun heute Morgen meine allererste Tasse lauwarme „Dekoration“. Der Tee ist geschmacklich unaufdringlich sowie leicht lieblich. In den folgenden Stunden bis zur Veröffentlichung am Abend stellte ich jedenfalls keine auffällige Wirkung fest, weder eine negative noch eine positive. Ich fühlte mich im Anschluss klar und munter, aber vielleicht war das auch nur der Placeboeffekt. Für einen ausführlichen Erfahrungsbericht genügt ein einmaliger Konsum ohnehin nicht. Aber zumindest habe ich einen ersten Eindruck gewonnen. Akut vergiftet habe ich mich jedenfalls nicht und es geht mir soweit gut. Auch mein Magen ist in Ordnung. Ob ich es bei der einen Tasse belasse oder weiter von der Unsterblichkeit koste, habe ich noch nicht entschieden…

[Diese ist keine Produkt- oder Verzehrsempfehlung, sondern ein persönlicher Erfahrungsbericht, der Unterhaltungszwecken dient. Von Nachahmung wird abgeraten.]

IV Tango ist…

Tango ist, wenn man die Freiheit hat zu tanzen mit wem man will.


Kleine Kompromisse muss man als soziales Wesen im Umgang mit der Gesellschaft oft im Alltag eingehen. Aber es gibt Bereiche des Lebens, da sollte man besser keine Abstriche machen. Zum Beispiel bei der Wahl des Lebenspartners:

Wenn man in der Liebe entgegen seiner tatsächlichen Präferenzen aus rein pragmatischen Erwägungen eine Zweckverbindung eingeht (z.B. Vernunftehe wegen finanzieller Sicherheit), dann leugnet man seine wahren Bedürfnisse. Unweigerlich quält das die eigene Seele, egal wie sehr man versucht, seine Wahl vor sich selbst oder vor anderen zu legitimieren. Meist mündet das in Überkompensation und Propaganda („Seht her, ich habe alles richtig gemacht!“)
Spätestens, wenn man sich jeden Abend zur angeblich „richtigen Wahl“ ins Bett legt, weiß man im Inneren genau, dass man an seinen wahren Träumen Lichtjahre vorbei lebt. Die Sehnsucht nach Wärme und Leidenschaft bleibt in solchen Konstellationen oft auf der Strecke. Das Ergebnis: Frust.

Im Tango ist es nicht anders als in der Liebe. Wenn man sich auf eine Tanda mit jemandem — aus welchen Gründen auch immer — einlässt, mit dem man in Wahrheit gar nicht tanzen will, zählt man die Minuten oder denkt an den morgigen Supermarkteinkauf, um die Zeit irgendwie totzuschlagen. Es quält einen und man ist froh, wenn die Tanda endlich vorbei ist.

Im Gegensatz zur Partnerwahl in der Liebe, die einen unter Umständen jahrelang oder im worst case sogar ein Leben lang begleitet, ist die falsche Wahl im Tango allerdings nicht allzu verheerend. Die Tanda ist schließlich nach ein paar Minuten wieder vorbei. Auch vom falschen Kurspartner kann man sich nach einer Testphase wieder lösen und seine Suche nach dem „perfekten Partner“ fortsetzen.
Aber dennoch ist die Verbindung ab dem Zeitpunkt der Erkenntnis irgendwie belastend.

Sitzende Tangueras

Um auch bei wichtigen Lebensentscheidungen die nötige Zuversicht aufzubringen, „Nein“ zu jemandem zu sagen oder umgekehrt nur dann „Ja“ zu sagen wo man es tatsächlich empfindet, ermutige ich andere Tangueras zu mehr Mut und Stolz. Leider folgen viele von ihnen wahllos und inflationär jeder Einladung, etwa aus Angst sitzen zu bleiben. Das Vorgehen ist nicht nur bedauernswert, da es von einem Mangel an Freiheitsgefühl und Selbstvertrauen zeugt. Nicht zuletzt verderben sie auch die „Preise“ zulasten aller Tänzerinnen.

Mit diesem Missstand sollte zum Vorteil aller Tänzerinnen und Tänzer aufgeräumt werden. Denn ist es nicht sehr viel schöner, mit dem richtigen Menschen zusammen zu sein….?

1. Mai – Tag aller Arbeit?

Der „Tag der Arbeit“ hat seine Wurzeln in den USA, genauer gesagt in der US-amerikanischen Arbeiterbewegung und gedenkt der Opfer des Haymarket Massakers.

Kaum jemand kennt den blutigen Hintergrund dieses Feiertages, was bedauerlich ist, denn die Ereignisse und insbesondere das Resultat prägen die westliche Arbeitspolitik sowie den Tagesrhythmus vieler Menschen bis heute und erinnern darüber hinaus stets daran, dass viele Privilegien, die wir heute als selbstverständlich ansehen, in Wahrheit gar nicht so selbstverständlich sind. Für die Durchsetzung des Achtstundentages etwa sind damals Menschen gestorben. Nebenbei bemerkt ist zu hoffen, dass die aktuellen Verhandlungen rund um die Viertagewoche friedfertiger verlaufen….

Quelle: „Moderne Zeiten“ 1936, Charlie Chaplin

Heute feiern alle diesen Tag bzw. fühlen sich viele von ihm angesprochen, weil er bekanntermaßen irgendwie mit Arbeitnehmerrechten zutun hat. So verstehen sich etwa auch Angestellte in führenden Positionen, die in klimatisierten und modernen Büros arbeiten, als tapfere Ärmelhochkrempler und entrechtete Galeerenruderer und beklagen sich märtyrerhaft bei einer gemütlichen Tasse Kaffee über ihre angeblich miserablen Arbeitsbedingungen.

Zugegeben, auch „saubere“ und „abstrakte“ Tätigkeiten im Dienstleistungssektor können zweifellos sinnvolle Arbeit sein. Der moderne Mensch hat die Arbeit jedoch weder erfunden noch steht es ihm zu, vorschnell zu urteilen, wie wertlos oder wertvoll die Arbeit seines Nächsten ist. Leider machen das jedoch viele inmitten unserer Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft. Aber wer hat das Recht oder die Deutungshoheit zu behaupten, dass nur Erwerbsarbeit gesellschaftlich wertvolle Arbeit sei? Was hätten dann bitteschön die Steinzeitmenschen getrieben, lange bevor das Geld erfunden wurde? Gammelten die etwa den ganzen Tag faul in der Höhle herum? Ich vermute, sie waren das Essen das sie verzehrten und das Dach (oder Höhlengewölbe) unter dem sie lebten würdiger als es so mancher Mensch es heute ist.

In seinem Meisterwerk „Moderne Zeiten“ von 1936 scheitert Charlie Chaplin in seiner Rolle als Arbeitnehmer auf ganzer Linie und weist unterhaltsam sowie brillant die Defizite und die Unvereinbarkeit der menschlichen Natur mit der herrschenden ausbeuterischen Arbeitsmarktpolitik auf. [Spoileralarm!] Am Ende ist er zwar arbeitslos, aber dennoch reich, weil ihm die Liebe seines Lebens zur Seite steht. Ich habe mich übrigens immer gefragt, was aus den beiden Figuren geworden ist und ob sie den Traum eines gemeinsamen Zuhauses verwirklichen konnten. Gerne stelle ich mir vor, dass sie dank ihrer darstellerischen Talente – fernab von Industrie und Versklavung – als Bohamians ihre Freiheit und ihr Glück gefunden haben.

Zurück zu den Ärmelhochkremplern und Galeerensklaven. Wenn der Begriff „Arbeit“ schon so weit ausgedehnt wurde, dass er physisch eher anspruchslose und privilegierte Tätigkeiten des Tertiärsektors miterfasst, warum schließt er dann nicht auch die Leistung von Menschen mit ein, die Tag für Tag für die Familie, die Kultur und das Gemeinwohl wertvolle Arbeit leisten? Für diese Arbeit sehen sie nicht nur keinen Cent, sondern werden in der Regel auch nur selten von ihrem Umfeld anerkennend gelobt.

Die Rede ist hier nicht von verwöhnten Gattinnen, die auf Kosten ihrer erfolgreichen Ehemänner ein privilegiertes Leben führen und die Hausarbeit und das Management der Familie an Putzfrauen und andere Hilfskräfte delegieren, sondern vielmehr von den vielen Frauen und Männern, die auf unscheinbare und doch unverzichtbare Weise die Gesellschaft wie Zahnräder mit am Laufen halten. Ihre Leistung wird schlicht ignoriert. Dabei ist beispielsweise die Erziehung der eigenen Kinder, das Engagement im örtlichen Fußballverein oder die Pflege von Angehörigen kein bloßes Hobby, auch wenn diese Tätigkeiten häufig belächelt werden, sondern wichtig und wertvoll für die Gesellschaft. Sie entlasten nicht zuletzt auch massiv den Sozialstaat. Die Gesellschaft, die Menschen nur noch als „Ressourcen“ oder „Erwerbspersonen“ definiert, redet ihren täglichen Einsatz jedoch nur allzu gerne klein. Sollten sie da durch den „Tag der Arbeit“ nicht ebenfalls mitgeehrt werden…?

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